Beweisverwertungsverbote im Zivil- und Arbeitsrecht
Aufsatz von RA Thomas Röth, erschienen in den der Zeitschrift AE Arbeitsrechtliche Entscheidungen 04/24. Der Aufsatz ist eine Ausarbeitung des gleichnamigen Vortrages, gehalten auf der 68. Tagung der Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht in Hamburg am 12.9.2014.
I. Hinführung (Grundbegriffe), Dogmatik der BVV im Zivilrecht und Spezifika im Arbeitsrecht bei BVVs
1. Hinführung
Warum müssen wir uns mit Beweisverwertungsverboten befassen?
Beweisverwertungsverbote sind Ausfluss „formaler“ Gerechtigkeit. Hier wird ein Beweismittel so grundrechts-/rechtsstaatswidrig/unfair erlangt, dass es als nicht verwertbar im Prozess angesehen wird. Im Prozess ist das Beweismittel bekannt, das Gericht muss aber so tun als ob es dieses Beweismittel nicht kennt und darf es nicht im Urteil verwenden. Es muss also eine Zensur im Kopf stattfinden.
Die für unseren praktischen Gebrauch grundlegenden Begriffe sind:
- Beweiserhebungsverbot (eine Norm verbietet schon das Erheben eines Beweises, s.u.),
- Beweisverwertungsverbot (s.o.) und
- Fernwirkungsverbot (Erstreckung auch auf weitere Beweismittel, die aus dem verbotenen Beweismittel gewonnen wurden)
Zum einen müssen Sie darum wissen, um den Mandanten konkret über die Erfolgsaussichten des Prozesses beraten zu können (nebst eventuellen Haftungsfolgen), zum anderen halte ich die Diskussion um ein Beweisverwertungsverbot für spannend im Bereich der formalen Gerechtigkeit. Beweisverwertungsverbote sind in der Regel an der Schnittstelle zwischen Verfahrens-, Verfassungsrecht und materiellem Recht angesiedelt. Entwickelt wurden Beweisverwertungsverbotsdogmatiken zunächst im Strafrecht.
Da die Grundrechte jedoch über die Drittwirkung auch im Zivilrecht gelten und die technischen Errungenschaften fortschreiten, ist auch dieser Bereich für Beweisverwertungsverbote in den letzten Jahren immer wichtiger geworden, wie die vermehrten Entscheidungen der letzten Jahre zeigen.
2. Dogmatik
a) Im Strafrecht (hier wird das BVV am Stärksten diskutiert/im Vortrag weggelassen)
Hier geht es darum, Missbrauch staatlicher Verfolgungsorgane durch die Nichtverwertbarkeit der so erlangten Beweismittel zu ahnden. Praktisch: die Polizei oder die Staatsanwaltschaft überschreitet die ihr gesetzten Grenzen. Es geht hier in erster Linie um Verfassungsrecht und den sogenannten Gesetzesvorbehalt (bzw. die Wesentlichkeitstheorie). Deshalb sind die hoheitlichen Eingriffsrechte der Strafverfolger genauer als im Zivilrecht geregelt. Auch das Strafrecht muss sich jedoch mit der Frage befassen, ob die Beweismittel, die durch Dritte (keine Strafverfolger) erlangt wurden, einem Beweisverwertungsverbot unterliegen können. Der BGH in Strafsachen bejaht dies in der Regel für Fälle der Ausspionierung im besonderen Gewaltverhältnis Gefängnis durch andere Gefängnisinsassen (siehe Wahrsagerfall) und bei eng geführtem Dritten durch die Polizei (Privatperson ist quasi nur der Mund des Polizisten) sowie in „Romeo“-Fällen. Ansonsten hat der BGH mit spitzelnden Dritten (sogenannte V-Leute/nicht: verdeckte Ermittler) seit dem Sedlmayr-Fall kein Problem.
Der BGH hat bisher zur Entscheidung der BVV-Frage die Rechtskreistheorie, die Abwägungslehre und die Widerspruchslösung entwickelt. Die Vorgehensweise im Strafrecht zur Entscheidung der Frage ob ein Beweisverwertungsverbot vorliegt, ist wie folgt:
- Vorliegen eines „fragwürdigen“ Beweismittels (z. B. beschlagnahmter Gegenstand bei Durchsuchung in der Wohnung, Telefonüberwachungsprotokoll, Beschuldigtenvernehmungsprotokoll ohne Belehrungshinweis etc.)
- Bestehen Gesetze , die ein BVV ausdrücklich anordnen (z.B. in der StPO: §§ 252, 136a III Satz 2, 108 II, III; 100 a IV 2, 100 d V 3 und 81c III 5 sowie § 51 BZRG und § 393 II 1 AO). Wurde hiergegen verstoßen?
- Falls ja: in der Regel ist das Beweismittel dann nicht verwertbar. Weitere Frage: eventuelles Fernwirkungsverbot?
- Wurde dieses Beweismittel auf rechtmäßigem Wege erlangt (Belehrung des Zeugen/Beschuldigten, Richterbeschluss eingeholt oder Gefahr im Verzuge)?
- Falls ja: kann dies trotzdem gegen verfassungsrechtliche Grundsätze verstoßen (Tagebuchentscheidungsfälle= Persönlichkeitsrecht/Intimsphäre)?
- Falls nein (siehe Punkt 3.): Die Rechtswidrigkeit einer Maßnahme führt nicht automatisch zum Beweisverwertungsverbot (wenn kein einschlägiges Spezialgesetz vorliegt, s. Punkt 2.). Jetzt ist zur Entscheidung dieser Frage eine Abwägung vorzunehmen, mit Argumenten, die für oder gegen das Verwertungsverbot sprechen.
Folgende Argumente werden hierzu regelmäßig verwandt:
Für ein Beweisverwertungsverbot spricht:
- Vorsätzlicher Missbrauch durch die Strafverfolgungsorgane/Dritte
- Schwere der Überschreitung durch die Strafverfolgungsorgane
- Gewichtigkeit des Rechts auf der Beschuldigtenseite, gegen welches verstoßen wurde (Grundrechte, z. B. Schweigerecht des Beschuldigten, Unverletzlichkeit der Wohnung usw.)
Für die Verwertung des erlangten Beweismittels kann sprechen:
- rechtmäßige Alternativhypothese (Beweismittel hätte auch auf rechtmäßigem Wege erlangt werden können)
- Schwere der Tat
- nur leichtes Verschulden der Strafverfolger
- Norm, die verletzt wurde, war nur eine bloße Ordnungsvorschrift
Sollte kein Beweisverwertungsverbot angenommen werden, ist die Prüfung beendet. Sollte ein BVV angenommen werden, ist zu prüfen ob der Verwertung (spätester Zeitpunkt: § 257 StPO) widersprochen wurde, wenn nicht: ist das Beweismittel verwertbar/der Beschuldigte präkludiert.
Sollte ein Beweisverwertungsverbot angenommen werden, kann sich unter Umständen die Frage stellen, ob ein Fernwirkungsverbot angenommen werden muss. Im anglo-amerikanischen Rechtskreis wird dies als die Fruit-of-the-poisonous-tree-doctrine (Früchte-vom-verbotenen-Baum-Theorie) diskutiert. Sowohl der BGH in Strafsachen als auch das Bundesverfassungsgericht sind mit der Annahme eines Fernwirkungsverbotes äußerst sparsam.
Beweisverwertungsverbote können im Strafverfahren im Freibeweisverfahren festgestellt werden.
Literatur zum BVV im StrafrechtBeulke, Werner: Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbote in: Jura 2008, 653 ffEisenberg, Ulrich: Beweisrecht der StPO, München, 8. Aufl. 2013, Seite 115 ff
b) Im Zivilverfahren
Ähnlich wie im Strafrecht gibt es einige Spezialvorschriften zu BVVs und ansonsten muss eine Einzelfallprüfung (in vielen Fällen anhand des Bundesdatenschutzgesetzes in Verbindung mit einer Grundrechtsabwägung) vorgenommen werden. Ausdrückliche Regelungen zu Beweisverwertungsverboten z. B. in der europäischen Menschenrechtskonvention oder im Grundgesetz gibt es derzeit nicht.
Spezialgesetze
Das Gesetz verbietet bestimmt Beweismittel generell oder in besonderen Situationen.
Beispiele aus der ZPO
§§ 595 Abs. 2, 605 Abs. 1 und 605 a (Wechsel- und Scheckprozess: Zeugen, Sachverständige und Augenschein sind ausgeschlossen und nur der Beweis durch Urkunden und Parteivernehmung zugelassen)
§ 80 Abs. 1 ZPO (Vollmacht Nachweis nur durch Urkunde)
§ 165 S. 1 ZPO (Nachweis über dem förmlichen Ablauf der mündlichen Verhandlung nur durch Protokoll)
§ 314 S. 2 ZPO (Gegenbeweis gegen den Tatbestand eines Urteils nur durch das Protokoll)
§ 383 Abs. 3 ZPO (Zulässigkeit eines Zeugenbeweises steht Schweigepflicht dieser Person entgegen: Beamter als Zeuge über Tatsachen, auf die sich seine Amtsverschwiegenheit erstreckt, Antrag auf Vernehmung eines Arztes über diejenigen Tatsachen, die unter seine Schweigepflicht fallen sowie Zeuge, dem gemäß § 174 Abs. 2 GVG ein Schweigegebot auferlegt ist; Zeuge hat Zeugnisverweigerungsrecht geltend gemacht)
Beweisverwertungsverbote
Beweisverwertungsverbote außerhalb spezialgesetzlicher Regelung
Grundsituation
Derjenige, der Beweise erhebt (zum Beispiel der Arbeitgeber) kann sich auf die Freiheit der Informationsbeschaffung berufen (bei allgemeinzugänglichen Quellen nach der Meinungsfreiheit gem. Artikel 5 GG und ansonsten auf die allgemeine Handlungsfreiheit sowie auf Artikel 11 Abs. 1 Satz 2 der europäischen Grundrechtecharta).
Dem Beweisgegner stehen folgende Grundrechte eventuell zur Verfügung:
- allgemeines Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG)
- Art. 10 und 13 GG
- Schutz personenbezogener Daten (Art. 8 Abs. 1 Europ. Grundrechtecharta)
- Privat- und Familienleben (Art. 7 Europ. Grundrechtecharta und Art. 8 EMRK)
Die Grundrechte gelten auch via „Drittwirkung“ im Zivilrecht. Spezialgesetzlich werden viele dieser Fälle über das Bundesdatenschutzgesetz (insb. bei Technikeinsatz) geprüft.
Prüfung der Datenerhebung nach dem Bundesdatenschutzgesetz
§ 4 Abs. 1 BDSG enthält ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten sind nur zulässig, soweit dieses Gesetz oder andere Rechtsvorschriften dies erlauben oder der Betroffene eingewilligt hat.
Personenbezogene Daten sind in § 3 Abs. 1 BDSG definiert (Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person; auch belanglose Informationen ist damit gemeint).
Automatisierter oder sonstiger Umgang mit Daten
Gem. §§ 1 Abs. 2 Nr. 3 und 27 Abs. 2 BDSG ist die Erhebung der Daten dann geschützt, wenn sie auf automatisierten oder dateimäßigen Umgang beruht. Darunter ist allerdings auch das manuelle Sammeln von Informationen, welches später mittels IT weiterverwendet wird, zu verstehen.
Für das Arbeitsverhältnis gilt für das Erheben und Sammeln von Daten § 32 BDSG. Das Erheben, Verarbeiten oder Nutzen von Daten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses bedarf immer einer Erlaubnisnorm oder der Einwilligung des Betroffenen.
Erlaubnisnormen
Wenn also die Einwilligung des Betroffenen nicht vorliegt, können nur bei Vorliegen und Einhalten von Erlaubnisnormen Daten erhoben werden. Die wichtigsten Erlaubnisnormen im Datenschutzrecht sind §§ 28 und 32 BDSG. Dies bedeutet, dass Datenverarbeitungsvorgänge gerechtfertigt sind, wenn sie zur Begründung, Durchführung oder Beendigung eines Schuldverhältnisses erforderlich sind (§ 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1) und/oder wenn die Datenverarbeitung zur Wahrung berechtigter Interessen der verantwortlichen Stelle erforderlich ist (§ 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2). Gemäß § 32 Abs. 1 Satz 1 ist die Datenerhebung für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses zulässig, wenn dies für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder für dessen Durchführung oder Beendigung erforderlich ist.
Dass sich in vielen Erlaubnisnormen findende Wort „erforderlich“, setzt nach spezialgesetzlicher Prüfung des BDSG eine Grundrechtsabwägung voraus zwischen dem Datenerhebungsrecht des Beweisführers und dem Persönlichkeitsrecht des Beweisgegners. Dies bedeutet, dass eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgenommen werden muss. Die Erhebung der Daten muss also einem legitimen Zweck dienen, geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne (= Güterabwägung) sein.
Insbesondere bei heimlichen Maßnahmen kann sich die Frage nach dem mildesten Mittel stellen.
Beweisverwertungsverbot vor Gericht
Gemäß Art. 1 Abs. 3 GG ist der Richter an die Grundrechte gebunden und hat die Verpflichtung zu einem rechtsstaatlichen Verfahren, wonach er dann einen Beweis nicht verwerten dürfte, wenn dies eine Verletzung der Grundrechte der anderen Partei bedeuten würde. Die höchstrichterliche Rechtsprechung geht also davon aus, dass ein Beweisverwertungsverbot in Betracht kommen kann, wenn bei Erhebung der Daten bereits Grundrechte des Beweisgegners verletzt wurden und dies durch gerichtliche Verwertung jetzt nochmal geschähe, es sei denn dem Beweisführer stehen „notstandsähnliche“ Rechte zur Seite. Sollte hingegen der Beweisführer nur formales Recht und keine Grundrechte verletzt haben, dürfte eine Verwertung der Beweise eher anzunehmen sein. Die beiden anderen Mindermeinungen, zum einen eine grundsätzliche Bejahung der Verwertung wegen der Wahrheitspflicht und zum anderen einem grundsätzlichen Verbot der Verwertung wegen Einheitlichkeit der Rechtsordnung, konnten sich höchstrichterlich nicht durchsetzen.
Dies führt zu folgendem Prüfungsdiagramm (hier anhand des BDSG, abstrakt: einfachgesetzliche Prüfung, wenn vorhanden):
Nach Prüfung z.B. der Datenerhebung gem. Bundesdatenschutzgesetz
Rechtmäßig:
Beweis wohl in der Regel verwertbar, es sei denn: Verstoß gegen den absoluten Kern des Persönlichkeitsrechts wenn Grundrechte des Beweisgegners verletzt sind.
Rechtswidrig:
- Beweise eher nicht verwertbar,wenn Grundrechte des Beweisgegners verletzt sind.
- Beweis wohl doch noch verwertbar (= z.B. Tagebuchfälle) wenn nur Verstoß gegen formale Ordnungsvorschriften oder Notstand bei Beweisführer.
Ein Gericht würde also Folgendes prüfen:
- Würde die Verwertung des Beweises den Beweisgegner in seinen Grundrechten verletzen?
- Falls ja: Gibt es ein überwiegendes Interesse des Beweisführers in diesem Fall (Beweisnotstand und dergleichen)? Falls ja: Verwertung könnte zulässig sein, falls nein: Verwertung wohl unzulässig.
Exkurs: Menschenwürde und Persönlichkeitsrecht
Die Menschenwürde ist gem. Art. 1 Abs. 1 GG der oberste Wert desselben. Die Menschenwürde wird laut Verfassungsgericht definiert als jener Wert- und Achtungsanspruch, der dem Menschen kraft seines Menschseins zukommt, unabhängig von seinen Eigenschaften, seinem körperlichen oder geistigem Zustand, seinen Leistungen oder seinem sozialen Status. Die Menschenwürde wird zum einen als Wesensmerkmal des Menschen und zum anderen als Gestaltungsauftrag an den Staat angesehen. Der Einzelne darf nicht zum bloßen Objekt staatlichen Handelns gemacht werden. Die Menschenwürde findet sich in vielerlei Grundrechtsausprägungen wieder (Leben und körperliche Integrität, Freiheit, Gleichheit etc.). Thematisch unter dem Begriff Menschenwürde entschiedene Fälle des Bundesverfassungsgerichts sind Anspruch auf rechtliches Gehör, Lockspitzeleinsatz, genetischer Fingerabdruck und keine Strafe ohne Gesetz.
Zum Persönlichkeitsrecht
Hier wird zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und dem speziellen unterschieden. Das spezielle Persönlichkeitsrecht ist spezialgesetzlich geregelt (z. B. strafrechtlicher Schutz der persönlichen Ehre, Schutz des persönlichen Namens § 12 BGB, Recht am eigenen Bild § 22 Kunsturhebergesetz).
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist ein Grundrecht, das dem Schutz der Persönlichkeit einer Person vor Eingriffen in ihren Lebens- und Freiheitsbereich dient. Das Bundesverfassungsgericht sagt zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht, dass es im Sinne des obersten Konstitutionsprinzips der „Würde des Menschen“ (Art. 1 Abs. 1 GG) die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen zu gewährleisten hat, die sich durch die traditionellen konkreten Freiheitsgarantien nicht abschließend erfassen lassen; diese Notwendigkeit besteht namentlich auch im Blick auf moderne Entwicklungen und die mit ihnen verbundenen neuen Gefährdungen für den Schutz der menschlichen Persönlichkeit.“
Da dies ein sehr weit gefasstes und unkonkretes Grundrecht ist, werden in der Kommentarliteratur Fallgruppen gebildet. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Rechtsprechung auch spezielle Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts entwickelt, wie zum Beispiel das Recht auf Information in der Selbstbestimmung oder das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme.
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt die Persönlichkeit des Menschen in den verschiedenen Sphären. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu die Öffentlichkeitssphäre, die Sozialsphäre, die Privatsphäre und die Intimsphäre unterschieden. Ein Eingriff in die Intimsphäre ist in der Regel verfassungswidrig. Je weiter man sich von der Intimsphäre entfernt, desto eher darf eingegriffen werden.
Schlagwortartig vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Fallgruppen:
- Schutz der Privat-, Geheim- und Intimsphäre (z. B. ärztliche Krankenblätter)
- Recht am gesprochenen Wort (Problem: heimliche Tonbandaufzeichnungen)
- Recht am geschriebenen Wort (Beispiel: Tagebuch)
- Schutz gegen Entstellung und Unterschieben von Äußerungen (Beispiel: Anspruch auf korrektes Zitieren)
- Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Einzelner kann bestimmen, welche ihn betreffenden Daten an staatliche Stellen gelangen und verwahrt werden dürfen)
- Recht am eigenen Bild (Problem: Kunsturheberrechtsgesetz, relative und absolute Personen der Zeitgeschichte)
- Recht der persönlichen Ehre (Ehrschutzdelikte, Namensnennung im Zusammenhang mit Straftaten)
- Recht auf Weiterbeschäftigung im Arbeitsverhältnis (§ 242 BGB in Verbindung mit dem Persönlichkeitsrecht)
- Recht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme
Ein Verwertungsverbot (die Rechtsprechung abstrahierend zusammenfassend) liegt bei folgenden Eingriffen/Verstößen nahe:
- rechtswidriger Eingriff in verfassungsrechtlich geschützte Grundpositionen des Einzelnen (insbesondere in die Menschenwürde und das allgemeine Persönlichkeitsrecht)
- ein Verstoß gegen die §§ 201 bis 203 StGB (Vertraulichkeit des Wortes, Briefgeheimnis und Privatgeheimnis)
- in den Fällen des festgeschriebenen Beweiserhebungsverbotes (siehe oben)
- bei anderen Verstößen kann für Urkunden- und Augenscheinsobjekte eine analoge Heranziehung der §§ 422, 423 ZPO hilfreich sein
Sachvortragsverwertungsverbot
Hier geht es darum, dass zum Beispiel der Arbeitgeber eine rechtswidrige Datenerhebung vornimmt, diese im Prozess vorträgt, der Arbeitnehmer den Vortrag nicht bestreitet. Vielleicht kann der Arbeitnehmer auch nicht bestreiten, weil er ja der prozessualen Wahrheitspflicht unterliegt. Das BAG hält ein Sachvortragsverwertungsverbot für möglich (unstreitiger Vortrag: im Spind gefundener, wohl geklauter Lippenstift: kann dies einem BVV unterliegen? Falls ja: kann mit Nichtwissen bestritten werden oder geht die Wahrheitspflicht vor? s. dazu BAG vom 13.12.2007 in NZA 2008, 1008). Dies stößt jedoch vielfach auf Kritik. Es ist daher anzuraten zumindest den Vortrag des Arbeitgebers gemäß § 295 ZPO zu rügen (was wiederum sehr der Widerspruchslösung im Strafverfahren ähnelt). Hintergrund ist auch, dass eine Partei, die nicht zum Ausdruck bringt, dass sie mit der Verwertung eines vom Gegner angebrachten Beweismittels nicht einverstanden ist, damit ja zugleich sagen könnte, dass sie in den Grundrechtseingriff einwilligt und das Beweismittel billigt, so dass dann der Richter gehalten wäre das Beweismittel zu verwerten.
Fernwirkungsverbot
Selbst die strafrechtliche Rechtsprechung ist mit der Annahme eines Fernwirkungsverbotes (Erstreckung des Beweisverwertungsverbotes auf weitere Beweismittel, die durch das ursprünglich verbotene Beweismittel kausal erlangt wurden) äußerst sparsam. Die höchstrichterliche Rechtsprechung im Zivil- und Arbeitsgericht hat sich hierzu meines Wissens nach noch nicht geäußert. Es ist davon auszugehen, dass auch sie nur sehr sparsam ein Fernwirkungsverbot annähme. In Anbetracht der Entscheidung des LAG Hessen vom 01.08.2011 (Hinzuziehung eines Anwaltes bei Nachfrage des Arbeitnehmers nötig, sonst Beweisverwertungsverbot: aufgrund der Aussage des AN wird z.B. der „gestohlene“ Gegenstand gefunden oder der nicht verwertbare Lippenstift wird vorgelegt im Personalgespräch: daraufhin Geständnis des AN) sollte hier jedoch ein Fernwirkungsverbot nicht pauschal abgelehnt werden. Insbesondere wenn keine weitere Kausalkette bzw. Entscheidungsfreiheit des Beweisführers u/o -gegners hinzukommt, könnte an ein fernwirkendes Beweisverwertungsverbot gedacht werden.
Auf jeden Fall ist rechtzeitig (auch beim Fernwirkungsverbot) die Verwertung zu rügen.
Literatur zum BVV im ZivilrechtSaenger (hrsg).: Handkommentar zur ZPO, 5. Aufl. 2013, zu § 286, Rz. 20 ffMüKo/Prütting: ZPO, 4. Aufl., 2013, zu § 284, Rz. 62 ff
Schneider, Egon: Beweis und Beweiswürdigung, 5. Auflage, 1994, Seite 44 ff
Pötters/Wybitol: Anforderungen des Datenschutzrechts an die Beweisführung im Zivilprozess, in NJW 2014, 2074 bis 2080
Grundlagen zu einer allgemeinen Beweisverbotslehre für alle Rechtsgebiete: Muthorst, Olaf: Das Beweisverbot, 1. Aufl. 2009, Tübingen
3. Spezifika im Arbeitsrecht (soweit nicht im Zivilrecht bereits erwähnt)
Arbeitsrechtliche Rechtsprechung und Literatur stützen sich bei der Diskussion von Beweisverwertungsverboten zum einen auf die übrige zivilrechtliche Litera- und Judikatur (Stichwort: Verletzung des verfassungsrechtlich geschützten Persönlichkeitsrechts i. d. R. des betroffenen Arbeitsnehmers) und zum anderen auf eine spezielle arbeitsrechtspezifische Kategorie: Beweisverwertungsverbot wegen Verletzung von Mitbestimmungsrechten (idR) des Betriebs-/Personalrates.
In der arbeitsrechtlichen Judikatur in letzter Zeit diskutierte Fälle haben hinsichtlich der Verletzung des Persönlichkeitsrechts mit neuen Techniken zu tun (Spezialgesetze, die den Arbeitgeber daran hindern, Verhalten und Leistung des Arbeitnehmers zu überwachen sind z.B. nur für den Bereich der elektronischen Überwachung: §§ 4, 6b, 6c, 28 BDSG; §§ 88, 100 TKG und § 15 TMG). Hier sind schlagwortartig zu nennen: Kameraüberwachung, Telefonüberwachung, Überwachung des Arbeitsplatzcomputers, elektronische Ortung, Personen- und Ehrlichkeitskontrollen und Überwachung durch einen Detektiv. Regelmäßig muss das Persönlichkeitsrecht auf Seiten des Arbeitnehmers mit dem Recht auf unternehmerische Betätigungsfreiheit des Arbeitsgebers sowie des Schutzes seines Eigentums abgewogen werden. Eine Rolle spielt auch ob solche Maßnahmen heimlich oder offen getroffen werden und ob der Zweck der Maßnahmen auf die Allgemeinheit oder speziell auf konkrete Arbeitnehmer gerichtet ist. Ebenso wichtig sind die Schwere des Vorwurfes und die Qualität der bisherigen Arbeitgeberermittlung (Verhältnismäßigkeitsgrundsatz). Ein Eingriff in das Persönlichkeitsrech kann durch Zustimmung der betroffenen Person „geheilt“ werden.
Beweisverwertungsverbot wegen Verletzung wegen eines kollektiv-rechtlichen Mitbestimmungsrechts
Hier kommen die §§ 75 Abs. 2 S.1, 87 Abs. 1 Nr. 1 und 6, 99 BetrVG in Betracht. § 87 Nr. 1 betrifft z. B. die körperlichen Untersuchungen, die Nr. 6 betrifft z.B. die Videoüberwachung.
Das BAG geht nicht generell von einem Verwertungsverbot bei Verletzung kollektivrechtlicher Normen aus. Es verweist darauf, dass weder das Betriebsverfassungsgesetz noch die ZPO ein ausdrückliches prozessuales Verwertungsverbot für mitbestimmungswidrig erlangte Informationen oder Beweismittel kennen.
Ein Beweisverwertungsverbot ist nur dann anzunehmen, wenn der Schutzzweck der verletzten Normen im Einzelfall zwingend eine solche prozessuale Sanktion gebietet. Dies kommt nur in Betracht, wenn durch die Verwertung einer rechtswidrig erlangten Information oder eines so erlangten Beweismittels erneut bzw. perpetuierend in verfassungsrechtlich geschützte Grundpositionen einer Prozesspartei eingegriffen würde.
Bei § 87 Abs. 1 Nr. 1 ist dies deckungsgleich mit dem Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers. Das BAG schließt sich ausdrücklich nicht der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzungen an, die da besagt, dass jeder Verstoß gegen das Betriebsverfassungsrecht auch zur Unwirksamkeit individualrechtlich führen soll. Es wird im Betriebsverfassungsgesetz selbst zwischen betriebsverfassungsrechtlichen und kündigungsrechtlichen Auswirkungen unterschieden. Das Bundesarbeitsgericht hat das Feld der Beweisverwertungsverbote wegen Verletzung kollektivrechtlicher Normen sehr stark verkleinert.
Kritisch ist zur Theorie des Schutzzwecks der Norm anzumerken, dass unklar ist, was genau der Schutzzweck der Norm sein soll. Beweisverwertungsverbote und Rechtssicherheit werden wohl sich zwei ausschließende Begriffe bleiben.
Compliance
Folgen unrechtmäßig erlangter Beweismittel können (in der Regel für den Arbeitgeber) u.a. sein: BVV, Strafanzeige (s. §§ 201 ff StGB, § 149 TKG), Schadensersatz des Arbeitnehmers und behördliches Verfahren (uU Bußgelder oder Gewerbeaufsicht, BDSG).
Literatur zu den SpezifikaLunk, Stefan: Prozessuale Verwertungsverbote im Arbeitsrecht, in: NZA 2009, 457ffII. Fazit
Das Beweisverbotsfeld gewinnt im Zivil- und Arbeitsgerichtsprozess an Bedeutung. Es ist bei primärer Erhebung der Daten auf einen legitimen Zweck für die Erhebung und eine genaue Verhältnismäßigkeitsprüfung zu achten. Insbesondere bei Verstoß gegen Grundrechte des Beweisgegners liegt die Gefahr einer Nichtverwertung nahe.