Rechtsprechung des Kammergerichts im Baurecht 2024
Richter und Anwaltschaft im Dialog
Am 16. Januar 2025 fand wieder einmal eine Fortbildung des Berliner Anwaltsvereins aus der Veran-staltungsreihe „Richter und Anwaltschaft im Dialog“ statt. Der Vorsitzende Richter am Kammerge-richt Björn Retzlaff berichtete über die Rechtsprechung des Kammergerichts (und darüber hinaus) im Baurecht.
Die turnusmäßigen Veranstaltungen mit Herrn Retzlaff werden dem Titel der Veranstaltungsreihe tatsächlich gerecht. Man fühlt sich ein wenig wie bei einem Klassentreffen einige Jahrzehnte nach dem Abitur. Viele Gesichter kommen einem bekannt vor, mit den Kollegen zur rechten hat man noch neulich vor einer Baukammer gefochten, rechts sitzt eine Richterin, mit der man vor Weihnachten einen Vergleich erarbeitet hat. Vorne und hinten sitzen Vorsitzende Richter des Landgerichts. RechtsanwältInnen und RichterInnnen drücken also einvernehmlich die Schulbank, das ist unge-wöhnlich. Und auch der Dialog kommt nicht zu kurz.
Die Themenschwerpunkte des Abends laut Skript:
- Störungen und Leistungsänderungen,
- Mängelrechte,
- Sicherheit,
- Verbraucherrechte,
- Bauträgervertrag,
...dies und das.
Im ersten Schwerpunkt Störungen und Leistungsänderungen ging es zunächst um eine aktuelle Ent-scheidung des BGH. Mit dem Urteil vom 19.7.2024 (BGH, VII ZR 10/24) hat der BGH festgestellt, dass eine Behinderungsmitteilung gerade keine Anordnung gemäß § 2 Abs. 5 VOB sein kann. Auch die Übermittlung von veränderten Bauablaufplänen stellt noch keine Anordnung des Auftraggebers im Sinne der oben genannten Norm da. Eine Entscheidung, die der vorangegangenen Entscheidung des Kammergerichts vom 27.8.2024 (KG, 21 U 128/23) diametral widerspricht. Insofern nahm die Ausei-nandersetzung einen entsprechenden Raum innerhalb der Veranstaltung. Weiter hat der BGH in dieser Entscheidung klargestellt, dass ein Schadensersatzanspruch nach § 6 Abs. 6 VOB/B bzw. § 642 BGB nur dann gegeben sein kann, wenn eine Pflichtverletzung des Auftraggebers vorliegt. Eine Stö-rung, die zwar aus der Risikosphäre des Auftraggebers herrührt, aber keine Pflichtverletzung dar-stellt, reicht nicht für die Annahme eines Schadensersatzanspruchs.
Im Themenschwerpunkt Mängelrechte ging es zunächst um Rücktritt vom Bauvertrag und eine Ent-scheidung des Kammergerichts vom 18.6.2024 (KG, 21 U 20/23). Zum Rücktrittsrecht nach § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB stellt das Kammergericht klar, dass der Rücktritt von einem Vertrag wegen Uner-heblichkeit der Pflichtverletzung der Gegenseite ausgeschlossen sein kann. Die Frage, ob die Erheb-lichkeitsschwelle erreicht ist, setzt eine umfassende Interessensabwägung im Einzelfall voraus. Ein weiterer Leitsatz aus dieser Entscheidung lautet, dass umso mehr im Rahmen der Interessensabwä-gung gegen die Wirksamkeit eines Rücktritts spricht, je umfangreicher die bereits erbrachten Leistun-gen des Auftragnehmers sind.
In der Entscheidung des Kammergerichts vom 18.6.2024 (KG, 21 U 20/23) und hierzu passenden Ent-scheidung des BGH vom 19.11.2020 (BGH, VII ZR 193/19) ging es um die Wirkung der Aufrechnung mit einem Vorschuss für Mängelbeseitigungskosten nach § 637 Abs. 3 BGB und insbesondere auf die Wirkung auf die Verjährungsfragen. In der Entscheidung vom 22.8.2024 des BGH (BGH, VII ZR 68/22) ging es erneut um das Verhältnis der Minderung des Werklohnanspruchs zum Kostenvorschussan-spruch nach § 637 Abs. 3 BGB. Danach schließt eine Minderung den kleinen Schadensersatz genauso wenig aus wie einen Kostenvorschussanspruch. Ausgeschlossen sind nach einer geltend gemachten Minderung der Rücktritt vom Vertrag sowie der sogenannte große Schadensersatzanspruch.
Beim Themenschwerpunkt Sicherheiten war wenig überraschend erneut § 650f BGB im Mittelpunkt.
Nach der aktuellen Entscheidung des Kammergerichts vom 29.10.2024 (KG, 21 U 52/24) ist bei der Frage von Bauhandwerkersicherheiten und deren Anwendbarkeit auf gemischt typische Verträge immer zu fragen, wo der Schwerpunkt des Vertrages liegt. Handelt es sich hierbei um im Wesentli-chen um einen Bauvertrag, so ist eine Sicherheit nach § 650f BGB zu stellen.
Ins gleiche Horn stößt die Entscheidung des OLG München vom 9.4.2024 (OLG München, 9 U 4221/23), ähnlich eine mitbesprochene Entscheidung des OLG Oldenburg vom 5.3.2024 (OLG Olden-burg, 2 U 115/23), die bei zwei getrennten Verträgen über die Lieferung und den Einbau einer Ein-bauküche § 650f BGB nur auf den Werkvertrag, nicht aber auf die Lieferung anwenden will.
Im Schwerpunkt Verbraucherschutz ging es unter anderem um die Frage, ob ein für den Verbraucher widerruflicher Fernabsatzvertrag vorliegt, wenn der Verbraucher vor oder bei Abschluss des Vertra-ges durch einen Unternehmer (im konkreten Fall einen Architekten) unterstützt wird (KG, 21 U 61/23). Das Kammergericht hat den Fall dem EuGH zur Beurteilung vorgelegt. Es geht in dem Fall um die Einrüstung eines Miethauses, die Auftraggeberin hat auf Grund fehlender Belehrung nach der Durchführung der Arbeiten den Vertrag widerrufen. Das Landgericht Berlin II hatte die recht hohe Werklohnklage aufgrund wirksamen Widerrufs abgewiesen. Eine Erinnerung daran, wie wichtig mitt-lerweile auch im Bau- und Werkvertragsrecht die rechtswirksame Belehrung des Auftraggebers ge-worden ist.
Für die Themen Bauträgerrecht und Dies und das reichte leider die Zeit nicht mehr so recht. Auch der Dialog kam deshalb am Ende zu kurz, der Wille der Anwesenden war jedenfalls vorhanden, bei diversen Themen weiter ins Detail zu gehen. Bekanntlich duldet der Hausmeister des Veranstal-tungsortes jedoch keinerlei Zeitüberschreitungen.
Insgesamt wieder eine sehr gelungene Veranstaltung. Herr Retzlaff schafft es regelmäßig, seine Be-geisterung für das Baurecht glaubhaft zu kommunizieren und die Zuhörerschaft mitzunehmen. Wenn es einen Kritikpunkt gibt, dann wäre das der allzu enge Zeitplan. Eine Stunde mehr hätte sich bei gleichem Programm leicht mit Dialog füllen lassen. Vielleicht ergibt sich in Zukunft die Chance, früher zu beginnen, oder zumindest die Möglichkeit, den gestrengen Hausmeister zu bestechen?
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