Die allgemein anerkannten Regeln der Technik
Rechtsanwaltssozietät Liebert & Röth, wir machen Baurecht & Architektenrecht
Der Begriff der allgemein anerkannten Regeln der Technik und seine Bedeutung für das Bauwesen verständlich erklärt
Die allgemein anerkannten Regeln der Technik sind der wichtigste der drei im deutschen Recht bekannten Technikstandards. Die allgemein anerkannten Regeln haben nicht nur, aber insbesondere im Baurecht und im Architektenrecht, eine immense Bedeutung. Die allgemein anerkannten Regeln der Technik definieren in diesen Rechtsgebieten in den allermeisten Fällen welche Qualität der Handwerker, Bauunternehmer oder Architekt seinem Auftraggeber dem Bauherren liefern muss.
Das Skript eines einstündigen Vortrags zum Thema finden Sie hier: Vortrag zu den allgemein anerkannten Regeln der Technik
Definition und Historie des Begriffs der allgemein anerkannten Regeln der Technik
Trotz der großen Bedeutung des Begriffes und trotz der Tatsache, dass in diversen deutschen Gesetzen auf den Begriff der allgemein anerkannten Regeln der Technik Bezug genommen wird, existiert keine Legaldefinition.
In § 319 Abs. 1 des Strafgesetzbuches zum Straftatbestand der Baugefährdung steht folgendes:
§ 319 Baugefährdung:
(1) Wer bei der Planung, Leitung oder Ausführung eines Baues oder des Abbruchs eines Bauwerks gegen die allgemein anerkannten Regeln der Technik verstößt und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Das Reichsgericht, Vorgänger unseres Bundesgerichtshofes (BGH) hat im Zusammenhang mit dem Straftatbestand der Baugefährdung (aktuell § 319 StGB, damals § 330 StGB StGB) im Jahre 1910 die allgemeinen anerkannten Regeln der Technik wie folgt definiert:
Eine technisch anerkannte Regel liegt vor, wenn Sie in der technischen Wissenschaft als theoretisch richtig anerkannt sind, fest steht, so wie durchweg bekannt und auf Grund der praktischen Erfahrung als technisch geeignet, angemessen und notwendig anerkannt ist.
- Erforderlich ist demnach neben der theoretischen Komponente, also einer entsprechenden wissenschaftlichen Anerkenntnis an Hochschulen, Technischen Universitäten und ähnlichen gehobenen Bildungseinrichtungen, auch eine praktische Komponente.
- Das Verfahren muss sich auch demnach in der Praxis bewährt haben, entstellt somit die Vorgehensweise oder Verhaltensweise da, die der breite Markt als richtig und zutreffend an sieht und die auch Wissenschaftlich anerkannt ist.
Nach modernem Sprachgebrauch lässt sich der Begriff der allgemein anerkannten Regeln der Technik wie folgt darstellen:
„Als allgemein anerkannte Regeln der Technik sind die Regeln der Technik zu verstehen, die auf wissenschaftlicher Grundlage und/ oder fachlichen Erkenntnissen (Erfahrungen) beruhen, in der Praxis erprobt und bewährt sind, Gedankengut der auf dem betreffenden Fachgebiet tätigen Personen geworden sind und deren Mehrheit als richtig anerkannt und angewandt werden.“
Bezug der allgemein anerkannten Regeln der Technik zum Baugewerbe
Was unter den allgemein anerkannten Regeln der Bautechnik zu verstehen ist, lässt sich aus einer Formulierungen von Kommentaren zur VOB/B heraus lesen. Danach stellen die Allgemein anerkannten Regeln der Bautechnik die Summe der im Bauwesen anerkannten wissenschaftlichen, technischen und handwerklichen Erfahrungen dar, die durchweg bekannt und als richtig und notwendig anerkannt sind.
Sie können nicht pauschalisiert und nicht kodifiziert werden, da die Frage, welche Regeln der Technik im Allgemeinen als anerkannt gelten, nur im konkreten Einzelfall aufgrund der einschlägigen gesetzlichen Ziel- oder Zweckbestimmungen sowie der faktischen Anerkennung und Anwendung der technischen Regeln beurteilt und letztlich nur durch Gerichtsentscheid geklärt werden kann.
Außerdem sind die technischen Lösungsmöglichkeiten einer ständigen Weiterentwicklung unterworfen (technischer Fortschritt) und deshalb die Grenzen der Allgemein anerkannten Regeln der (Bau-)Technik fließend. Hinzu kommt, dass alle denkbaren Sachverhalte mit den dazu jeweils als allgemein anerkannt geltenden Regeln der Technik auch nicht annähernd erfassbar sind.
Die allgemein anerkannten Regeln der Technik müssen daher auch nicht schriftlich niedergelegt sein, sie können sich auch aus rein mündlicher Überlieferung ergeben. Letztendlich können in machhinein durch die Gutachten von Sachverständigen festgestellt werden.
Zu den Grundlagen der allgemein anerkannten Regeln der Technik im Baugewerbe zählen:
- DIN-Normen des Deutschen Institutes für Normung e.V.
- Einheitliche technische Baubestimmungen (ETB)
- Allgemeinen technische Vertragsbedingungen für Bauleistungen (VOB/C)
- Europäische Normen (EN) des Europäischen Komitees für Normung (CEN)
- Technische Richtlinien des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI)
- Bestimmungen des Verbandes Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e.V. (VDE)
- Bestimmungen des Deutschen Ausschusses für Stahlbeton
- Bestimmungen vom Deutschen Verein des Gas- und Wasserfach (DVGW)
- Unfallverhütungsvorschriften der Bauberufsgenossenschaften
- Herstellervorschriften zur Verarbeitung eines bestimmten Produkts
Die Aufzählung ist beispielhaft und nicht abschließend.
Verhältnis der DIN-Normen zu den allgemein anerkannten Regeln der Technik im Baugewerbe:
Allgemein anerkannte Regeln der Bautechnik finden sich in Deutschland oft in DIN-Normen.
Nach der Rechtsprechung besteht auch eine Vermutung dafür, dass eine DIN-Norm die allgemein anerkannten Regeln der Technik wider gibt. Das bedeutet, dass derjenige der behauptet eine DIN-Norm entspreche nicht (oder nicht mehr) den allgemein anerkannten Regeln der Technik, hierfür auch beweispflichtig ist.
Wichtig ist aber zu wissen, dass DIN-Normen nicht immer den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprechen und diese verlässlich widergeben. DIN-Normen können tatsächlich längst veraltet sein. Denn die allgemein anerkannten Regeln der Technik sind dynamisch und unterliegen ständig fortschreitender Veränderung. Daher stellen Normen und Regelwerke wichtige Anhaltspunkte da, spiegeln aber auf Grund der dynamischen Entwicklung nicht immer den aktuellen Stand der allgemein anerkannten Regeln der Technik wider.
In diesem Zusammenhang muss noch darauf verwiesen werden, dass die DIN-Normen keinen Gesetzescharakter haben. Nach Auffassung der Rechtsprechung sind DIN-Normen lediglich „private technische Regelungen mit Empfehlungscharakter“.
Ein viel zitiertes Beispiel für eine DIN-Norm, die gerade nicht den allgemeinen anerkannten Regeln der Technik widerspiegelt ist die DIN 4109 für Schallschutz. Schon im Jahr 1980 hat das OLG Köln festgestellt, dass die Version der DIN 4109 aus dem Jahr 1962 nicht den Anforderungen an den Schallschutz im Jahre 1973 entspricht. Die DIN 4109 wurde danach mehrfach überarbeitet. Schließlich wurde die DIN 4109 im Jahre 1989 neu in einer verschärften Version mit höheren An-forderungen neu veröffentlich. Bereits im Jahre 1998 hat allerdings bereits der Bundesgerichtshof (BGH) festgestellt, dass die DIN 4109 aus dem Jahr 1998 schon nicht mehr den Anforderungen an den Schallschutz im Jahre 1990 entsprochen hat.
Somit war die DIN 4109 Schallschutz bereits unmittelbar nach ihrer Neuveröffentlichung, innerhalb von nur zwei Jahren, hinter den allgemein anerkannten Regeln der Technik zurückgeblieben.
Rechtliche Bedeutung der allgemein anerkannten Regeln der Technik
In zahlreichen Normen wird auf die allgemeinen anerkannten Regeln der Technik verwiesen.
So zum Beispiel in den §§ 17, 21 Landesbauordnung Berlin (hier geht es um die Qualität von Bau-produkten und Bauweisen).
Auch im § 2 Haftpflichtgesetz wird der Begriff genannt und insbesondere gleich mehrfach in der für das Bauwesen außerordentlich bedeutsamen Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil B (VOB/B).
In § 4 Abs.2 Nr. 1 VOB/B steht:
Der Auftragnehmer hat die Leistung unter eigener Verantwortung nach dem Vertrag auszuführen. Dabei hat er die anerkannten Regeln der Technik und die gesetzlichen und behördlichen Bestimmungen zu beachten.
In § 13 VOB/B steht:
Der Auftragnehmer hat dem Auftraggeber eine Leistung zum Zeitpunkt der abnahme-frei von Sachmängeln zu verschaffen. Die Leistung ist zurzeit der abnahmefrei von Sachmängeln, wenn Sie die vereinbarte Beschaffenheit hat und den anerkannten Regeln der Technik entspricht.
In § 633 BGB und damit also im Mängelrecht bei Werkverträgen sind die allgemeinen anerkannten Regeln der Technik zwar nicht explizit aufgeführt, werden aber von der ständigen Rechtsprechung mit hineingelesen. Auch bei einem Werkvertrag hat der der Unternehmer (Auftragnehmer) also die allgemein anerkannten Regeln der Technik zu beachten. Tut er dies nicht, so ist seine Leistung in aller Regel mangelhaft.
Unabhängig von der Frage, ob der Bauvertrag nur nach dem Werkvertragsrecht des BGB zu betrachten ist oder die Vertragsparteien die VOB/B vereinbart haben gilt somit Folgendes.
Die Bau- oder Werkleistung ist mangelhaft, wenn Sie nicht der ausdrücklichen Vereinbarung zwischen den Parteien entsprechen. Man stellt also die Ist-Beschaffenheit der sich aus dem Vertrag ergebenen Soll-Beschaffenheit gegenüber. Es ist aber für die Vertragsparteien nicht möglich für jede Teilleistung und jedes Gewerk dezidiert im Einzelnen genau die Soll-Beschaffenheit vertraglich festzulegen.
Findet sich eine ausdrückliche vertragliche Vereinbarung nicht, dann ist das vertraglich geschuldete Werk dann mangelhaft, wenn es für den vertraglich vereinbarten Verwendungszweck eignet.
Aber auch hierüber findet sich oft nichts in den Verträgen und dann kommt es darauf an, dass das Werk die übliche Beschaffenheit aufweist, die der Besteller erwarten kann. Genau hier kommen die allgemeinen anerkannten Regeln der Technik ins Spiel.
Gibt es somit keine vertraglichen Anhaltspunkte, welche Qualität der Bauunternehmer, Handwerker oder Architekt liefern musste, dann muss er sich bei der Ausführung seiner Leistungen an die allgemeinen anerkannten Regeln der Technik halten. Dies dürfte für 95 % der Bau- und Werkverträge das entscheidende Kriterium sein. Werden die allgemeinen anerkannten Regeln der Technik nicht eingehalten, dann liegt eine mangelhafte Werkleistung vor und der Auftraggeber kann Gewährleistungsrechte geltend machen.
Hinweispflichten, Haftungsfreistellung bei Verletzung der allgemein anerkannten Regeln der Technik
Die Gerichte haben die Haftung der Auftragnehmer (Unternehmer) sogar noch erheblich verschärft. Selbst dann wenn der Auftraggeber ausdrücklich eine bestimmte Vorgehensweise oder einen bestimmte Bauausführung wünscht und diese vom Auftragnehmer auch genau umgesetzt wird, kann dieser wegen Verstoßes gegen die allgemeinen anerkannten Regeln der Technik haften.
Verstößt nämlich die vom Auftraggeber oder seinem Architekten gewünschte Bauausführung gegen die allgemeinen anerkannten Regeln der Technik, dann hat der Bauunternehmer oder Hand-werker umfassende Aufklärungs- und Hinweispflichten. Erst wenn er den Bauherren ausdrücklich gewarnt hat, dass die gewünschte Vorgehensweise nicht in technischer Mindeststandart der allgemeinen anerkannten Regeln der Technik entspricht, muss er keine Haftung mehr befürchten.
Auftragnehmern, Bauunternehmern muss daher dringendst geraten werden, den Auftraggeber schriftlich, per Fax oder E-Mail auf mögliche Probleme hinzuweisen und sich tunlichst zusätzlich eine Haftungsfreizeichnung unterschreiben zu lassen, wenn erkannt wird dass die gewünschte Ausführung des Auftrags gegen technische Normen verstoßen könnte.
Fraglicher Zeitpunkt für die Einhaltung der allgemeinen anerkannten Regeln der Technik
Wichtig zu beachten ist weiterhin, dass die allgemein anerkannten Regeln der Technik im Zeitpunkt der Abnahme der Bauleistung eingehalten sein müssen.
Entscheidend ist also nicht das erwartbare technische Niveau zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses, sondern zum Zeitpunkt der Fertigstellung der Arbeiten und der Abnahme durch den Auftraggeber!
Dies kann besonders bei längeren Bauprojekten mit voraus gehendem Vergabeverfahren problematisch werden. Ändern sich etwa während der Realisierung des Bauvorhabens die Vorschriften der Energieeinsparverordnung (ENEV), so mag das Bauvorhaben zwar entsprechend den Vorschriften der ursprünglich erteilten Baugenehmigung errichtet werden, so dass keine Probleme mit den öffentlichen Baurecht und insbesondere der Baugenehmigungen bestehen.
Gleich wohl besteht aber auch die Gefahr, dass die Einhaltung der -in diesem Fall bereits veralteten Vorschriften- der während des Genehmigungsverfahrens gültigen ENEV zivilrechtlich nicht ausreicht und die geschuldete Bauleistung (Dämmung der Fassade) zum Zeitpunkt der Abnahme mangelhaft ist.
Zum einen bestehen hier den Bauunternehmer, Handwerker und Architekten Haftungsrisiken, zum anderen besteht auch ein Kalkulationsrisiko. Bewirbt sich der Bauunternehmer oder Handwerker um einen Auftrag oder berechnet der Architekt die Baukosten, müssen im Prinzip zu erwartende höhere technische Anforderungen bereits mit eingepreist werden.
Allgemein anerkannte Regeln der Technik bei Umbaumaßnahmen
Bei Umbaumaßnahmen und Sanierungsvorhaben ist problematisch, ob hierbei die technischen Standards zu Zeitpunkt des Baus des Gebäudes einzuhalten sind, oder ob die -meist strengeren- aktuellen Standards zum Zeitpunkt der Umbaumaßnahmen gelten.
Einige Entscheidungen aus der Rechtsprechung deuten daraufhin, dass insbesondere bei der umfassenden Sanierungsarbeiten und Umbaumaßnahmen tatsächlich der aktuelle Standard von den Bauunternehmer, Handwerker oder Architekten gefordert werden kann.
Da die Grenze zwischen einfachen und umfangreichen Sanierungsmaßnahmen fließend ist, sollte im eigenen Interesse die Bauunternehmer, Handwerker und Architekten unbedingt eine ausdrück-liche Regelung mit dem Bauherren und einen mögliche Haftungsfreizeichnung diskutieren.
Weitere technische Technikstandards im deutschen Recht
Neben den allgemeinen anerkannten Regeln der Technik gibt es zwei weitere Technikstandards im deutschen Recht.
- Zum einen ist dies der „Stand der Wissenschaft und Technik“, ein besonders anspruchsvoller technischer Standard.
- Zum anderen ist dies vor allem im Umweltrecht häufig vorkommender Begriff der „Stand der Technik“.
Diese beiden Technikstandards verlangen letztendlich ein höheres Niveau als die allgemein anerkannten Regeln der Technik.
Mehr zum Verhältnis der drei Technikstandards im deutschen Recht finden Sie in folgendem Skript: Vortrag zu den allgemein anerkannten Regeln der Technik
Bei der Vertragsgestaltung ist daher unbedingt im eigenen Interesse auf die korrekte Begrifflichkeit zu achten. Verspricht ein Bauunternehmer, Handwerker oder Architekt dem Bauherren eine Bauausführung nach den „Stand der Technik“, so müsste die Arbeiten zu einem wesentlich höheren Niveau ausgeführt werden, als wenn nur die übliche Beschaffenheit und damit die allgemein anerkannten Regeln der Technik versprochen worden wären.
Der Bauherr könnte somit wesentlich früher Mängelrechte geltend machen.
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