Aktuelle Rechtsprechung des Kammergerichts im Baurecht
Rechtsanwaltssozietät Liebert & Röth, wir machen Baurecht & Architektenrecht
Richter und Anwaltschaft im Dialog
Am 20. Januar 2021 fand die zweistündige Veranstaltung zur aktuellen Rechtsprechung des Kammergerichts im Baurecht mit dem mittlerweile wohlbekannten Vorsitzenden Richter am Kammergericht Björn Retzlaff statt. Den aktuellen Umständen geschuldet war auch diese Veranstaltung ins Internet verschoben worden.
Herr Retzlaff hat die Veranstaltung mit der gewohnten Professionalität durchgeführt, man merkt ihm seine langjährige Erfahrung als Dozent auch online an.
Vorgestellt hat er Entscheidungen des Kammergerichts (und des Landgerichts) aus den Jahren 2018 bis 2020. Aus den bekannten Gründen war der Output an Entscheidungen im Jahr 2020 doch erheblich vermindert. Hier die Highlights aus Sicht des Verfassers.
Baurecht
Ein Schwerpunkt der Entscheidungen war zunächst die mit der großen Baurechtsreform zum 1. Januar 2018 neu eingeführte Norm des § 650d BGB. Wir erinnern uns, gemäß § 650d BGB ist es zum Erlass einer einstweiligen Verfügung im Zusammenhang mit Streitigkeiten über das Anordnungsrecht gemäß § 650b BGB oder hinsichtlich der Vergütungsanpassung gemäß § 650c BGB nach Beginn der Bauausführung nicht erforderlich, dass der Verfügungsgrund glaubhaft gemacht wird.
Der Gesetzgeber wollte mit dieser Regelung – nach eigenem Bekunden – während der Bauphase die Möglichkeit, eine einstweilige Verfügung zu erhalten und damit vorläufigen Rechtsfrieden herzustellen, erleichtern. Naturgemäß sind es also nunmehr die einstweiligen Verfügungen, die es als Erste aus dem Kreis der Neuregelungen der Baurechtsrefom zum Kammergericht geschafft haben.
Bei den vorgestellten Entscheidungen ging es unter anderem um die Frage, wann ein Verfügungsgrund vorliegt, wann also genau im Sinne des § 650d BGB ein Streit um ein Anordnungsrecht oder eine Vergütungsanpassung gegeben ist. Nach Ansicht des Kammergerichts besteht jedenfalls für einen Antrag, mit der Durchführung von Arbeiten zu beginnen, kein Rechtsschutz (KG, Beschluss v. 6.4.2020, 7 W 32/19). Eine entsprechende Verfügung muss nämlich zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig sein. Da der Bauherr eine Verpflichtung gegenüber dem Unternehmer mit Baumaßnahmen zu beginnen, letztendlich aber keine verspätete Fertigstellung und damit auch kein Mietausfall aufgrund von Bauverzögerungen verhindern kann, ist in derartigen Fällen auch kein einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren.
Weiter gilt die Vermutung des § 650d BGB hinsichtlich des Verfügungsgrundes nur für Mehrvergütungsansprüche, die tatsächlich auf § 650c Abs. 3 BGB beruhen (LG Berlin, Beschluss v. 20.4.2020, 19 O 34/20). Verzögerungsansprüche und generell Ansprüche, die auf anderen Rechtsgrundlagen als der zitierten Norm beruhen, sind nicht auf § 650d BGB zu stützen. Interessant ist in diesem Zusammenhang noch eine Entscheidung des Landgerichts Berlin, wonach der Besteller im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nach § 650d BGB auch die Feststellung verlangen kann, dass er keine Anordnung im Sinne des § 650b BGB erteilt habe (LG Berlin, Beschluss v. 7.11.2019, 32 O 244/19).
Im Zusammenhang mit dem Eilverfahren wies Herr Retzlaff noch auf eine interessante Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahre 2020 hin, in dem dieses auf die Bedeutung des Art. 103 Abs. 1 GG und damit auf den Anspruch auf rechtliches Gehör hingewiesen hat (BVerfG, einstweilige Anordnung v. 3.6.2020, 1 BvR 1246/20). Gerichtliche Entscheidungen im Rahmen eines Eilverfahrens machen demnach eine vorherige Anhörung des Gegners nur in Ausnahmefällen entbehrlich. Vor allem berechtigt der Verzicht auf eine mündliche Verhandlung nicht ohne Weiteres dazu, gegen den Antragsgegner bis zur Entscheidung über den Verfügungsantrag aus dem Verfahren herauszuhalten. Mit anderen Worten: Auch im Eilverfahren muss das rechtliche Gehör des Antragsgegners der Normalfall sein.
Der Dauerbrenner, der Streit um die Mehrvergütung nach § 2 Abs. 5 und Abs. 6 VOB/B, kam dieses Jahr nur mit einer Entscheidung der Kammer des Vortragenden aus dem Jahr 2019 zur Sprache (KG, Urteil v. 27.8.2019, 21 U 160/18). Nach dieser Entscheidung sind die Bemessungsgrundlage der Mehrvergütungsansprüche die tatsächlichen Mehr- oder Minderkosten, die dem Unternehmer aufgrund der Leistungsänderung entstehen, sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben. Der Preiskalkulation des Unternehmens kommt dagegen bei Ermittlung dieser Kostendifferenz nur die Stellung eines Hilfsmittels zu. Im Streitfall kommt es nicht auf die Kosten an, die der Unternehmer in seiner Kalkulation angesetzt hat, sondern auf diejenigen Kosten, die ihm bei der Erfüllung des nicht geänderten Vertrags tatsächlich entstanden wären.
Sicherheiten im Bauvertrag
Einen weiteren Schwerpunkt des Vortrages bildeten die Sicherheiten beim Bauvertrag. Zur Bauhandwerkersicherung gemäß § 648a BGB (a. F.) stellte Herr Retzlaff eine Entscheidung vor, wonach bei einer einheitlichen Klage des Unternehmers sowohl auf Sicherheit als auch auf den zu besichernden Vergütungsanspruch der Anspruch auf Sicherung in einem sogenannten „schlanken Prozess“ durchgesetzt werden kann (KG, Urteil v. 26.7.2019, 21 U 3/19). Das Gericht kann daher in einem derartigen Fall über den Sicherungsanspruch isoliert durch stattgebendes Teilurteil entscheiden und in diesem Zusammenhang die Höhe des (streitigen) Sicherungsanspruchs für das Sicherungsmittel ohne Beweisaufnahme nach freier Überzeugung im Rahmen des § 287 Abs. 2 ZPO festsetzen.
Dabei kann das Gericht auch auf einen Betrag erkennen, der unterhalb der vom Unternehmer schlüssig dargelegten Höhe des zu sichernden Vergütungsanspruches liegt. Interessant ist weiter, dass im Regelfall bei der Festsetzung der Höhe der Sicherheitsleistung vom Fehlen eines wichtigen Kündigungsgrundes auszugehen sein soll.
Im Zusammenhang mit dem Sicherungsmittel Sicherungshypothek im Rahmen des § 650e BGB wurden drei interessante Entscheidungen des Kammergerichts aus den letzten Jahren vorgestellt. So soll dann kein Anspruch auf Eintragung einer Vormerkung zur Sicherung eines Anspruchs auf Eintragung einer Bauhandwerkersicherungshypothek vorliegen, wenn mit der Ausführung des eigentlichen Bauwerkes noch nicht begonnen worden ist (KG, Urteil v. 24.7.2018, 7 U 134/17). Grund hierfür ist das Fehlen einer Leistung, die den Wert des Grundstücks erhöht hat. Aus dem gleichen Grunde kann auch keine Sicherung eines Anspruchs auf Vergütung für nicht erbrachte Leistungen erbracht werden können (KG, Urteil v. 13.7.2018, 7 U 126/17). Da die nicht erbrachten Leistungen keine Wertsteigerung des Grundstücks verursacht haben, gibt es auch keinen Grund den Unternehmer mit einem möglichen Anspruch auf Vergütung für nicht erbrachte Leistungen gegenüber anderen Gläubigern des Bestellers zu privilegieren. Eine Sicherung der gesamten großen Kündigungsvergütung kommt allerdings dann in Betracht, wenn der Besteller nach Baubeginn gekündigt hat.
Ein Anspruch auf eine Sicherungshypothek soll es auch nicht für Gerüstbauer geben (KG, Urteil v. 13.7.2018, 7 U 126/17). In einer Entscheidung aus dem Jahr 2018 hat das Kammergericht argumentiert, dass Gerüste, Lastenaufzüge und Schutzvorrichtungen wie Wetterschutzdächer und Einhausungen keine Bauwerke im Sinne des § 648 BGB (a. F.) seien und damit kein Anspruch auf eine Sicherungshypothek bestehe.
Architektenrecht
Ein wenig Zeit blieb noch für Architektenrecht. Bestimmendes Thema war natürlich die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom Juli 2019, der die HOAI in Teilen für europarechtswidrig erklärt hat. Die Kammer des Vortragenden hat mit einer weiteren Entscheidung aus dem Mai 2020 (KG, Urteil v. 12.5.2020, 21 U 125/19) den eigenen Beschluss aus dem August 2019 nochmals bekräftigt. Danach ändere das Urteil des EuGH zunächst nichts am Mindestpreisgebot des § 7 Abs. 6 Satz 1 HOAI, die Dienstleistungsrichtlinie der Europäischen Gemeinschaft sei nicht unmittelbar auf private Rechtsverhältnisse anwendbar.
Herr Retzlaff wies aber auch darauf hin, dass der 7. Senat des Kammergerichts dies anders sieht. Nach der Entscheidung dieses Senats aus dem September 2019 (KG, Urteil v. 13.9.2019, 7 U 87/18) sind die Mindest- und Höchstsätze der HOAI europarechtswidrig und damit gegenstandslos.
Für den Praktiker bleiben somit insbesondere Aufstockungsklagen vor dem Kammergericht eine unsichere Angelegenheit.
Bauträgerrecht
Zeit blieb auch noch für eine kurze Darstellung des Bauträgerrechts. Hier hat das Kammergericht in einer Entscheidung vom August 2019 seine eigene Entscheidung aus dem Jahr 2017 bekräftigt, dass auch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren die Herausgabe einer Wohneinheit vom Bauträger gefordert werden kann (KG, Urteil v. 20.8.2019, 21 W 17/19). Dies soll auch dann gelten, wenn der Käufer die Wohneinheit nicht selbst bewohnen, sondern vermieten will. Das Kammergericht hat damit nochmals den Schutz der Käufer im Rahmen von Bauträgerverträgen verstärkt.
Zuletzt noch eine interessante Entscheidung zur Frage des Bausolls im Zusammenhang mit Bauträgerverträgen. In einer Entscheidung aus dem Jahr 2019 sah das Kammergericht das Leistungssoll des Bauträgers auch durch vertragsbegleitende Umstände bestimmt (KG, Urteil v. 11.6.2019, 21 U 116/18). In diesem Fall eine Visualisierung in einem Prospekt.
Erfrischend pragmatisch eine am Rande erwähnte Entscheidung des Kammergerichts aus dem Mai 2020, in dem die Kammer eine vorher durchgeführte mündliche Verhandlung unter Hinzuziehung der Parteien nach § 128a ZPO für rechtmäßig erklärt hatte, obwohl die Mitglieder des Senates nicht mit einem vom Gericht gestellten Konferenzsystem gearbeitet haben, sondern mit ihren privat genutzten Notebooks und eigener Konferenzsoftware tätig wurden (KG, Urteil v. 12.5.2020, 21 U 125/19).
Insgesamt eine sehr kurzweilige und erfolgreiche Veranstaltung mit Herrn Retzlaff. Zwischenzeitlich waren immerhin 69 virtuell Anwesende zu verzeichnen. Zwar hat es den Eindruck, dass systembedingt ein tatsächlicher Dialog in einer Onlineveranstaltung deutlich schwerer in Gang kommt als bei einer Präsenzveranstaltung. Aber sicherlich lernen wir alle noch hinzu beim Umgang mit diesem neuen Medium.
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