Quo Vadis VOB/B?
Liebert & Röth Rechtsanwälte, wir machen Baurecht in Berlin & bundesweit
Wohin geht die Reise für die Vertragsordnung für Bauleistungen Teil B
Die Vertragsordnung für Bauleistungen Teil B ist Bestandteil der Trias der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB). Während sich die VOB/A mit der Vergabe von öffentlichen Bauleistungen beschäftigt, stellt die VOB/B ein Gerüst an Vertragsklauseln zur Verfügung. Die VOB/C enthält eine Vielzahl von technischen Ausführungsbestimmungen für Bauleistungen, darüber hinaus handelt es sich aber auch um ergänzendes Vertragsrecht.
Geschichtlicher Rückblick
Die VOB entstand in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg aus dem Bedürfnis und insbesondere der Notwendigkeit heraus, für die Vergabe und Durchführung von Bauleistungen der öffentlichen Hand, möglichst aber auch darüber hinaus, klare und einheitliche Grundsätze und Vorschriften zu schaffen. Schon damals war klar, dass das erst einige Jahren vorher in Kraft getretene Bürgerliche Gesetzbuch kein ausreichendes Baurecht enthielt. Die Regelungen für den Werkvertrag gemäß § 631 ff. BGB wurden bereits in den frühen Jahren der Weimarer Republik als nicht ausreichend empfunden.
Der Reichstag sah sich allerdings nicht in der Lage eine gesetzliche Regelung für das Baurecht in Deutschland zu schaffen. Stattdessen ging man den Weg über den Reichsverdingungsausschuss (RVA), in dem unter der geschäftsführenden Leitung des Reichsfinanzministeriums unter anderem Vertreter der Reichsverwaltungen, der Länderregierungen, der Städte, der Wirtschaft und der Gewerkschaften saßen.
Nach umfangreichen Verhandlungen in den Jahren 1921 bis 1926 wurde im Mai 1926 die erste Fassung der VOB, damals noch Vergabe- und Verdingungsordnung für Bauleistungen veröffentlicht. Seitdem wurde die VOB mehrfach überarbeitet und das Gremium, das die VOB veröffentlicht, wurde zwischenzeitlich umbenannt in Deutscher Vergabe- und Vertragsausschuss für Bauleistungen (DVA).
Das Prinzip ist aber gleichgeblieben. Die VOB in Gänze hat keinen Gesetzescharakter. Der DVA ist als privatrechtlicher Verein ausgestaltet, in dem unter anderem die am heutigen Baugeschehen beteiligten Ministerien, öffentliche Verwaltungen, Wirtschafts- und Berufsverbände sowohl der Auftraggeber- als auch der Auftragnehmerseite vertreten sind.
Für die öffentliche Hand ist die Anwendung der VOB/B verbindlich: Wenn sie gemäß den Vorschriften der VOB/A ein Vergabeverfahren durchführen muss, dann muss sie die VOB/B in den Vertrag einbeziehen (§ 8 a VOB/A).
In § 1 Abs. 1 Satz 2 VOB/B wiederum ist geregelt, dass die VOB/C mit Vertragsbestandteil wird. Durch diese Kette ist sichergestellt, dass bei der Durchführung öffentlicher Baumaßnahmen die Trias der VOB insgesamt Anwendung findet.
Große Bedeutung der VOB/B im privaten Bausektor
Für den privatrechtlichen Bereich, der keine Vergabeverfahren durchführen muss, ergab sich die immense praktische Bedeutung der VOB/B schlicht aus der Tatsache, dass bis zum 1. Januar 2018 die lückenhaften gesetzlichen Grundlagen des BGB hinsichtlich des Baurechts seit Inkrafttreten inhaltlich kaum geändert wurden. Ein spezifisches Baurecht fehlte praktisch in Deutschland. Diese Lücke hat die Praxis dadurch gefüllt, dass die (freiwillige) Einbeziehung der VOB/B bei Bauverträgen faktischer Standard wurde.
„Die VOB/B wird als Allgemeine Geschäftsbedingungen gelesen“
Die Rechtsprechung hat sich wiederum über die Jahrzehnte darauf geeinigt, dass die VOB/B keine Rechtsnormqualität besitzt und weder Gewohnheitsrecht noch einen Handelsbrauch darstellt. Stattdessen wird die VOB/B als Allgemeine Geschäftsbedingungen gelesen. Die VOB/B ist allerdings dann einer Inhaltskontrolle seitens der Gerichte entzogen, wenn sie ohne inhaltliche Abweichungen insgesamt in den Vertrag einbezogen wurde (§ 310 Abs. 1 Satz 3 BGB).
Neues Bauvertragsrecht 2018
Zum 1. Januar 2018 ist endlich die große Reform des Deutschen Baurechts in Kraft getreten. Der Gesetzgeber hat es mit einer Verzögerung von mehr als 100 Jahren geschafft, ein detailliertes Bauvertragsrecht für den Bauvertrag, den Verbraucherbauvertrag, die Planerverträge und das Bauträgerrecht zu normieren.
Das neue Bauvertragsrecht hat sich an diversen Stellen die VOB/B als Vorbild genommen und bewährte Regelungen übernommen. In einigen Gebieten weicht die neue gesetzliche Regelung allerdings erheblich von der VOB ab. Erwähnt sei nur das neue Anordnungsrecht des Auftraggebers und die Berechnungsgrundlagen für Nachträge.
Anpassung der VOB/B an die neue gesetzliche Lage?
Mit den neuen gesetzlichen Grundlagen stellte sich die Frage nach der Anpassung der VOB/B, die schließlich als AGB angesehen wird. Bekanntermaßen dürfen allgemeine Geschäftsbedingen nicht zu stark vom gesetzlichen Leitbild abweichen, sonst droht die Unwirksamkeit einzelner Klauseln in der Inhaltskontrolle vor Gericht.
Zwar soll § 310 BGB die VOB/B gerade vor der Inhaltskontrolle schützen, in der Praxis wird aber eine vollständige Einbeziehung der VOB/B in die Bauverträge nur selten gelingen. Dies eröffnet den Gerichten in den allermeisten Fällen doch eine Inhaltskontrolle einzelner Klauseln. Vor diesem Hintergrund wäre also zu erwarten gewesen, dass die VOB/B schnellstmöglich an die neuen gesetzlichen Grundlagen angepasst wird.
2017 gab es bereits vor Inkrafttreten der neuen gesetzlichen Grundlagen einen Reformversuch, der allerdings im Herbst 2017 scheiterte. Der DVA teilt mit, dass man zunächst die Entwicklung des neuen Rechts beobachten wolle. Im Dezember 2020 hat das Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat (BMI) als Vorsitz und Geschäftsstelle des DVA einen Entwurf für eine neue VOB/B vorgelegt. Mithin drei Jahre nach dem Inkrafttreten der neuen Gesetzeslage. Dieser Entwurf hat diverse Diskussionen angestoßen, allerdings wird wenig bekannt über die Ausschusstätigkeit und den aktuellen Diskussionsstand zum Entwurf. Auch ein Veröffentlichungszeitpunkt für eine neue VOB/B ist bisher der Öffentlichkeit noch nicht mitgeteilt worden.
„Die Demontage der VOB/B schreitet unaufhörlich voran, vollstreckt vom BGH, verursacht vom DVA“
Die Untätigkeit des DVA ist deshalb hoch problematisch, weil eine Vielzahl von Klauseln der VOB/B vor Gericht keine Gnade mehr finden. „Die Demontage der VOB/B schreitet unaufhörlich voran, vollstreckt vom BGH, verursacht vom DVA.“ (so Fuchs in Die Demontage der VOB/B, NZ Bau 2023, 353).
Einige Beispiele
- BGH v. 19.1.2023 – VII ZR 34/20: Das Kündigungsrecht des Auftraggebers wegen Mängeln vor der Abnahme aus § 4 Abs. 7 VOB/B i.V.m. § 8 Abs. 3 VOB/B hält einer Inhaltskontrolle nicht stand und ist daher unwirksam.
- Bereits 1987 wurde die damalige Fassung des § 16 VOB/B über den Ausschluss von Nachforderungen bei vorbehaltloser Annahme einer Schlusszahlung für unwirksam erklärt. Auch die spätere Fassung der Klausel, die bis heute in der VOB/B Verwendung findet, fand keine Gnade vor dem BGH (BGH, NJW 1998, 2053). Die Regelung des § 16 Nr. 3 Abs. 2 bis 5 VOB/B über den Ausschluss von Nachforderungen bei vorbehaltloser Annahme einer Schlusszahlung oder einer ihr gleichstehenden Schlusszahlungserklärung verstößt auch nach der Neufassung, soweit nicht die VOB/B „als Ganzes“ vereinbart worden ist, gegen § 9 AGBG und ist deswegen unwirksam.
- BGH v. 8.8.2019 – VII ZR 34/18: Der über viele Jahrzehnte praktizierten sogenannten vorkalkulatorischen Preisfortschreibung des § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B erteilte der BGH ebenfalls eine Absage. Ein Urteil, das wohl auch auf die Vergütungsanpassung nach § 2 Abs. 5 VOB/B bei geänderten Leistungen und möglicherweise auch auf Mindermengen nach § 2 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B und auf zusätzliche Leistungen nach § 2 Abs. 6 VOB/B zu übertragen ist.
Erhebliche Unsicherheit im Markt
Die Bespiele zeigen, dass eine Anpassung der VOB/B an die neue Gesetzeslage und die aktuelle Rechtsprechung dringend von Nöten ist. Die Unsicherheit im Markt ist groß, denn nach wie vor hat die VOB/B eine erhebliche praktische Bedeutung im Markt. Das neue Bauvertragsrecht im BGB kann (und will) die VOB/B nicht vollständig ersetzen. Abgesehen davon, dass für die öffentliche Hand die Verwendung der VOB/B weiterhin vorgeschrieben ist.
Seit Jahren trommeln Fachleute und Verbände daher für eine Neuregelung, allerdings bleibt bis heute unklar, bis wann eine solche erwartet werden darf. Vielleicht hat man im DVA aber einen Sinn für runde Jahrestage und wir können hoffen, wenigstens bis 2026 – zum 100-jährigen Geburtstag der VOB/B – auch eine Neuregelung der VOB/B zu erhalten.
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