Vortrag zu den allgemein anerkannten Regeln der Technik
Ein schwammiger Rechtsbegriff mit erheblicher Bedeutung für Architekten, Bauunternehmer, Handwerker und Zulieferer im Baugewerbe.
Der Vortrag beschäftigt sich mit dem Rechtsbegriff der allgemein anerkannten Regeln der Technik, seiner Herkunft, seiner Einordnung in die so genannten Technikstandards im deutschen Recht und vertiefend seiner Auswirkung auf das Baurecht. Die allgemein anerkannten Regeln der Technik stellen den Qualitätsstandard dar, der in der Regel von den Auftragnehmern in der Baubranche zu erbringen ist. Damit definiert er meist auch den Bausoll. Als Ausdruck des geforderten qualitativen Baustandards hat der Begriff der allgemein anerkannten Regeln der Technik damit auch eine besondere Bedeutung für Architekten, Bauunternehmer, Handwerker, Sachverständige etc.
Das Skript zum Vortrag kann hier GRATIS als pdf herunter geladen werden.
Der Vortrag von Rechtsanwalt Martin Liebert auf dem "8. ausschreiben.de Tag" der Orca Software GmbH am 7.10.2013 in Neubeuern gehalten.
Einen vertiefenden Artikel zum Thema finden Sie hier: Die allgemein anerkannten Regeln der Technik erklärt
Gliederung
- Einführung deutsche Technikstandards
- Allgemein anerkannte Regeln der Technik
- Abgrenzung zu Normen und Regelwerken
- Anwendung im Baurecht
- Ermittlung des aktuellen Standes
Einführung in die deutschen Technikstandards
- Im Wesentlichen werden im deutschen Recht drei sogenannte Technikstandards verwendet:
- Stand von Wissenschaft und Technik
- Stand der Technik
- Allgemein anerkannte Regeln der Technik
- Unter einem Standard versteht man eine Rechtsnorm die eine generelle Verweisung auf Anschauungen und Verhaltensweisen des normalen Verkehrs enthält
- Ein Technikstandard nimmt auf die besonderen Anschauungen und Verhaltensweisen von Wissenschaft und Technik Bezug
- Die drei Begriffe stammen aus unterschiedlichen Bereichen, Zeiträumen und sind Ausdruck verschiedener Blickwinkel
- Gleichwohl ist ein Stufenverhältnis erkennbar
- Unterschiedliche Anforderungen an die Sicherheit und Ausgestaltung technischer Produkte, Ausführungen und Verfahrensweisen
- Die drei technischen Standards finden sich in:
- Öffentlichem Recht (Baurecht, Immissionsschutzgesetz, Atomgesetz)
- Strafrecht
- Bürgerlichem Recht (Kaufrecht, Mietrecht, Werkverträge, VOB/B)
Begriff: Stand der Wissenschaft und Technik
- Beschreibt was aktuell technisch machbar ist.
- Kombination aus „Stand der Technik“ und „Stand der Wissenschaft“ mit Betonung auf letzerem
- Umfasst neben dem praktisch-technisch Erreichtem auch die neuesten Ergebnisse des wissenschaftlichen Erkenntnisstandes. Nicht die technische Machbarkeit, sondern der wissenschaftliche Erkenntnisstand prägt den Begriff
- Verwendet vor allem von BVerfG und BVerwG in den Entscheidungen zur Atomkraft
- § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtomG:
Die Genehmigung darf nur erteilt werden, wenn... …die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch die Errichtung und den Betrieb der Anlage getroffen ist
Begriff: Stand der Technik
- Ausgehend vom Umweltrecht hat der „Stand der Technik“ eine einheitliche Legaldefinition erfahren die für das gesamte öffentliche Recht bedeutsam ist
- § 3 Abs. 6 BImSchG:
Stand der Technik im Sinne dieses Gesetzes ist der Entwicklungsstand fortschrittlicher Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen, der die praktische Eignung einer Maßnahme zur Begrenzung von Emissionen in Luft, Wasser und Boden, zur Gewährleistung der Anlagensicherheit, zur Gewährleistung einer umweltverträglichen Abfallentsorgung oder sonst zur Vermeidung oder Verminderung von Auswirkungen auf die Umwelt zur Erreichung eines allgemein hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt gesichert erscheinen lässt. Bei der Bestimmung des Standes der Technik sind insbesondere die in der Anlage aufgeführten Kriterien zu berücksichtigen.
- „Stand der Technik“ ist demnach ein fortgeschrittener Entwicklungsstand, dessen Erprobung auch schon eine Eignung für die Praxis ergeben hat
- Maßstab ist die technische Entwicklung, auf die allgemeine Anerkennung im Markt wird dabei verzichtet
- Findet Anwendung im Bereich der klassischen Gefahrenabwehr, Umweltrecht, Wasserhaushaltsgesetz etc.
Allgemein anerkannte Regeln der Technik
- Keine Legaldefinition, Begriff geprägt von Rechtsprechung und Literatur
- Eine technisch anerkannte Regel liegt vor, wenn sie in der technischen Wissenschaft als theoretisch richtig anerkannt ist, feststeht, sowie durchweg bekannt und aufgrund der praktischer Erfahrung als technisch geeignet, angemessen und notwendig anerkannt ist (RGSt 44, 76)
- Erging ursprünglich zu § 330 StGB a.F. und den darin enthaltenen „allgemein anerkannten Regeln der Baukunst“ (heute § 319 StGB Baugefährdung)
In zahlreichen Normen wird auf die allgemein anerkannten Regeln der Technik verwiesen:
- §§ 17, 21 LBauO Berlin (Bauprodukte und Bauweisen)
- § 2 HaftpflichtG
- Kaufrecht § 434 BGB (mittelbar)
- Werkvertragsrecht:
- §§ 4 Abs. 2 Nr. 1, 13 Abs. 1 VOB/B
- § 633 BGB (mittelbar)
Abgrenzung der Begrifflichkeiten der drei Technikstandards:
Das Stufenverhältnis der drei Technikstandards
Abgrenzung zu Normen und Regelwerken:
- Die allgemein anerkannten Regeln der Technik sind dynamisch und unterliegen ständiger fortschreitender Veränderung
- Sie müssen nicht schriftlich niedergelegt sein, die mündliche Überlieferung reicht aus
- Normen und Regelwerke stellen Anhaltspunkte dar, spiegeln aber aufgrund der dynamischen Entwicklung nicht immer die Allgemein anerkannten Regeln der Technik wider
- Widerlegbarer Anscheinsbeweis spricht dafür, dass kodifiziertes Regelwerk die Allgemein anerkannte Regeln der Technik wider gibt
Beispiel DIN 4109 Schallschutz:
- "DIN 4109 (1962) entspricht nicht den Anforderungen an den Schallschutz (Allgemein anerkannte Regeln der Technik) im Jahre 1973" (OLG Köln 1980)
- Neue Entwürfe 1979 und 1984
- DIN 4109 wird 1989 neu veröffentlicht:
- "DIN 4109 (1989) entspricht nicht den Anforderungen an den Schallschutz (Allgemein anerkannte Regeln der Technik) im Jahre 1990. DIN Normen sind lediglich private technische Regelungen mit Empfehlungscharakter“ (BGH 1998)
- Neue Entwürfe der DIN 4109 in den Jahren 2000 und 2006
Allgemein anerkannte Regeln der Technik im Werkvertragsrecht
- Seit 2002 subjektiver Mangelbegriff im BGB
- Ein Produkt / eine Leistung ist dann mangelhaft, wenn es nicht dem Vereinbarten entspricht
- Im Baurecht: Abgleich von Bau-Soll und Bau-Ist
- Bei fehlender Vereinbarung Auffangtatbestand des § 633 Abs. 2 Nr. 2 (Allgemein anerkannte Regeln der Technik werden hineingelesen)
- § 13 Abs. 1 S. 2 VOB/B erwähnt Allgemein anerkannte Regeln der Technik ausdrücklich
- Zunächst entscheidend ist die vertraglich vereinbarte Beschaffenheit. Ein Mangel liegt vor, wenn diese Qualität nicht erreicht wird, obwohl Allgemein anerkannte Regeln der Technik eingehalten wurden.
- "Auch aus dem vertraglich vorausgesetzten Zweck kann sich höherer Qualitätsstandard ergeben" (BGH 2002)
- "Ist eine geringere Qualität als Allgemein anerkannte Regeln der Technik ausdrücklich vereinbart, kann die Leistung dennoch mangelhaft sein. Über die Erfüllung des Leistungsverzeichnisses hinaus schuldet der Auftragnehmer ein funktionstaugliches und damit normgerechtes Werk." (BGH 1998)
- Allgemein anerkannte Regeln der Technik sind zum Zeitpunkt der Abnahme zu beurteilen, nicht des Vertragsschlusses (Waldschlößchenbrücke Dresden, Wettbewerb 1997, Baubeginn 2007, Fertigstellung 2013)
- Auftragnehmer muss daher während der Bauphase seine Leistungen ständig überprüfen und gegebenenfalls anpassen
- Problem Altbausanierung:
- "Verspricht Veräußerer eines sanierten Altbaus Sanierung bis auf die Grundmauern, dann sind die aktuellen Allgemein anerkannte Regeln der Technik einzuhalten" (BGH 2005)
- "Bei Vorliegen gravierender Mängel der Bausubstanz ist nur eine Sanierung, die die Allgemein anerkannten Regeln der Technik beachtet, mangelfrei. DIN-Normen tragen die Vermutung in sich, dass sie den Stand der allgemein anerkannten Regeln der Technik wiedergeben" (BGH 2013)
Ermittlung des aktuellen Standes der Allgemein anerkannten Regeln der Technik
Wie verhalten sich Technik und Recht zueinander?
- Weil die Allgemein anerkannte Regeln der Technik nicht nur wissenschaftlich fundiert, sondern sich auch in der Praxis durchgesetzt haben müssen, ist die Ermittlung schwierig
- Ermittlung durch Auswertung von Publikationen (Fachpublikationen, Verarbeitungsrichtlinien, Zahlen zur Schadensträchtigkeit), empirische Erhebungen und Umfragen
- Letztendlich sind die Gerichte auf sachverständliche Hilfe angewiesen
- Sachverständige entscheiden meist die strittigen Fragen!
Vielen Dank!
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Mehr zum Autor Rechtsanwalt Martin Liebert finden Sie unter RA Martin Liebert.