Furchtlose Juristen – Richter und Staatsanwälte gegen das NS-Unrecht
Gelebtes Berufsrecht. es gab auch mutige Juristen im 3. Reich
Zum neuen Buch von Heiko Maas
C. H. Beck Verlag, 1. Auflage 2017, 333 Seiten, gebunden EUR 29,80, ISBN 978-3-406-70746-9
Vor Kurzem ist das oben angegebene Buch herausgegeben vom derzeitigen (1.9.2017) Bundesjustizminister Heiko Maas bei C. H. Beck erschienen.
Wie es der Titel schon sagt, werden in diesem Buch 17 Staatsanwälte/Richter, die während des Nationalsozialismus tätig waren, von 14 Autoren materialreich vorgestellt. Laut Klappentext hat sich der derzeitige Bundesminister für Justiz und Verbraucherschutz darum gekümmert, für dieses Buch ausgewiesene Sachkenner zu gewinnen. Aufgebaut ist das Buch wie folgt:
Zunächst gibt es eine Einleitung von Herrn Maas, dann führt Herr Tuchel in die Möglichkeiten und Grenzen des Widerstands von Richtern und Staatsanwälten ein. Im Hauptteil werden die Justizjuristen (dies ist der Begriff für Richter oder Staatsanwälte, vorwiegend sind es Richter) von verschiedenen Autoren vorgestellt. Von den 14 Autoren wiederum sind 6 ausgewiesene Historiker und 8 Volljuristen (darunter ein Rechtsanwalt, 3 Professoren, 1 Oberstaatsanwalt, 3 Richter und ein ehemaliger Präsident des Bundesamtes für Justiz). Professor Ingo Müller, der selbst über 2 Staatsanwälte ein biographisches Kapitel in dem Buch verfasst hat, rundet mit einem Nachwort das Buch ab.
Herr Maas beginnt das Buch mit einem subjektiven Einstieg (als Student hatte er von Professor Müller „Furchtbare Juristen“ gelesen). Er gibt einen kurzen Hinweis, dass es nicht leicht war, die Autoren zu finden. Er weist darauf hin, dass das damit zu tun hat, dass sowohl die engagiertesten Gegner der Nazis in der Justiz als auch jüdische Juristen bereits 1933 aus den Ämtern vertrieben wurden. Am Ende der Einleitung versucht er eine Systematisierung der beschriebenen Justizjuristen hinsichtlich der unterschiedlichen Weise, wie sie sich gegen das nationalsozialistische Unrecht gewandt haben. Ein junger Gerichtsassessor verweigerte bereits 1934 den Eid auf Hitler, zwei Staatsanwälte ermittelten gegen die Mörder im KZ-Dachau, drei Richter lehnten es ab, Juden in ihrer Rechtsprechung zu diskriminieren, ein Richter protestierte gegen die Euthanasie-Morde beim Reichsjustizministerium und ein Richter wagte aktiven Widerstand. Auch zu den Motiven werden Hinweise gegeben, bei drei Richtern hatte dies mit dem christlichen Glauben zu tun, bei einigen Richtern war es die politische/demokratische Einstellung. Übergreifend bei vielen war es die Einstellung zur Rolle des Richters und die strikte Rechtsstaatsorientierung.
Das Einführungskapitel umreißt kurz den Widerstand generell, beschäftigt sich dann mit den Rahmenbedingungen für einen Widerstand der Justizjuristen und schlussendlich mit den Justizjuristen und dem Widerstand. Hier versucht der Autor Typologien zu entwerfen und fasst den Stand der Forschung zusammen. Sein Fazit bleibt, dass die Justizjuristen zu den stärksten Stützen des Systems gehörten; während etwa bei den Beteiligten des Umsturzversuchs des 20.7.1944 sich Rechtsanwälte und eine größere Anzahl von Verwaltungsjuristen finden, bleibt die Zahl der dabei beteiligten Justizjuristen sehr klein. Dies gilt auch für andere Widerstandsgruppen. Er weist darauf hin, dass die dann im Folgenden beschriebenen Justizjuristen vereinzelt und einsam blieben. In seinen letzten beiden Unterkapiteln deutet er an, wie dicht das Netz war, in welches Richter und Staatsanwälte alltäglich eingebunden wurden, und wie schon eine Begrüßung mit „Grüß Gott“ statt „Heil Hitler“ zu Disziplinarverfahren führen konnte. Ebenso geht er kurz auf die Grundsätze nationalsozialistischer Rechtsauffassung (Führerprinzip, Volkswille statt Rechtspositivismus usw.) ein.
Im Hauptteil werden nun die 17 Justizjuristen (sämtlich Männer) mehr oder minder ausführlich (zwischen 8 und 18 Seiten, jeweils mit Bild der beschriebenen Person vorgestellt. In der Regel wird zur Biografie etwas mitgeteilt und dann der Fokus auf die berufliche Karriere vor 1933, währenddessen und danach gelegt, insbesondere natürlich auf die sozial engagierten Handlungen, die zum Konflikt mit dem NS führten. Das Material hierfür stammt vorwiegend aus (Personal-)Akten diverser Archive.
Die Personen, die hier vorgestellt werden, lassen sich wie folgt bündeln: viele zunächst mit deutsch-nationaler/konservativer/christlicher Gesinnung; bei den meisten gibt es auch keine Totalopposition gegen den Nationalsozialismus. Ausschlaggebend für Konflikte können Fälle gewesen sein, wie: Stattgabe der Klage, in welcher ein jüdischer Metzger Rückgabe der ihm gestohlenen Schächtemesser von zwei Nazis verlangt / Abweisung einer Räumungsklage, die mit dem Jüdischsein der Mieter als Kündigungsgrund begründet wurde / Verweigerung des „Heil-Hitler-Grußes“ im Gericht. Zu jedem Kapitel gibt es ein Anmerkungsapparat, der die dazugehörige Literatur auflistet.
Professor Müller vollzieht im Nachwort noch einmal die erst sehr spät einsetzende Beschäftigung mit der Justiz im Nationalsozialismus nach und stellt fest, dass in Überblicksdarstellungen über den Zustand der Justiz im Nationalsozialismus leider vereinzelte furchtlose Juristen nicht dargestellt werden. Er erwähnt als Vorgänger zu diesem Buch auch die beiden breiter gefächerten (sowohl beruflich als auch geschichtlich) Bände „Streitbare Juristen“ und „Streitbare Juristinnen“.
Beeindruckt hat den Verfasser zum einen, mit welcher Dichte sowohl die Ortsgruppenleiter am Gerichtsort als auch die Vorgesetzten Richter sowie das Reichsjustizministerium Informationen über inkriminierte Richter haben wollten und die zuständigen Stellen um Einschreiten gegen Richter baten. Zum anderen war auffällig, dass zivil couragierte Richter (abseits des aktiven Widerstandes) zwar versetzt wurden, sich mit Disziplinarverfahren auseinandersetzen mussten oder frühzeitig in den Ruhestand versetzt wurden, aber – sollten diese Beispiele hier repräsentativ sein – mit lebensbedrohlichen Maßnahmen nicht unbedingt zu rechnen hatten. Mehr Widerstand wäre vielleicht doch möglich gewesen.
Ein kleines Manko ist, dass sich zu der Idee dieses Bandes und wie man nun auf die Autoren, die es dann geschrieben haben, kam, wenig findet. Leider finden sich in diesem Buch einige Rechtschreibfehler und in einem Kapitel entsprechen sich die Anmerkungsziffern im Text und im Anmerkungsteil nicht.
Fazit: ein äußerst lesenswertes Buch, gerade weil es die einzelnen Menschen mit ihren Handlungen, Einstellungen und den Folgen ins Zentrum rückt.
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