„Bissige“ Referendarin darf vielleicht doch Anwältin werden!
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht Thomas Röth ist Fachmann für anwaltliches Berufsrecht und zugleich Richter am Anwaltsgericht zu Berlin.Er veröffentlicht regelmäßig zu berufsrechtlich relvanten Themen, hier zu einer unterhaltsamen Entscheidung des Bundsverfassungsgerichts 22.10.2017, Az. I BVR 1822/16.
Das Bundesverfassungsgericht und die anwaltliche Berufsfreiheit
Der Fall sorgte für Furore:
Eine Rechtsreferendarin regte sich in der strafrechtlichen Station bei der Staatsanwaltschaft über ihren Vorgesetzten auf und schrieb ihm nach Erhalt einer Beurteilung im Februar 2011 unter anderem Folgendes in einer Mail:
„Sie sind ein provinzieller Staatsanwalt, der nie aus dem Kaff rausgekommen ist, in dem er versauert. Ihr Weltbild entspricht dem des typischen deutschen Staatsbürgers von 1940. Mit Ihrem Leben und Ihrer Person sind Sie so zufrieden wie das Loch vom Plumpsklo. Als Sie mich vor sich hatten, sind Sie vor Neid fast erblasst. Ich konnte Ihren Hass geradezu sinnlich wahrnehmen. Am liebsten hätten Sie mich vergast, aber das ist ja heute out. Also taten Sie das einzige, wozu Ihnen Ihre begrenzte Position die Möglichkeit bietet: Sie stellten mir ein wirres Zeugnis aus, das an jeder Realität vorbeigeht. Nun, ich beglückwünsche Sie zu diesem strahlenden Sieg, genießen Sie ihn aufrichtig, kosten Sie ihn bloß richtig aus - denn während es für mich nur ein unerhebliches Ärgernis ist (welches mich, zugegeben ziemlich in meinem Rechtsempfinden berührt), ist es für SIE der Höhepunkt Ihres Lebens. Etwas Schöneres wird Ihnen während Ihrer armseligen Existenz nie erfahren.“
In dem sich anschließenden Ermittlungsverfahren, nachdem der Staatsanwalt Strafanzeige erstattet hatte, wandte sich die Referendarin im April 2011 per E-Mail an die zuständige Oberstaatsanwältin und führte darin unter anderem aus:
„Ich bestaune die Praxis der Staatsanwaltschaft A., Rechtsbrüche zu verfolgen, ohne sich selber an das Recht zu halten. Sollte das eine Frage der inneren Einstellung sein, gehören Sie nicht in den Justizdienst. Sollte das intellektuell bedingt sein, so besuchen Sie doch noch einmal eine Grundstudiumsvorlesung.“
Im April 2013 wurde die Verfassungsbeschwerdeführerin (= ehemalige Referendarin) wegen Beleidigung des Staatsanwaltes vom Amtsgericht zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt. Das Urteil ist seit Februar 2014 rechtskräftig. Im Juni 2012 bestand die Beschwerdeführerin das zweite Staatsexamen und im August 2014 beantragte sie ihre Zulassung zur Rechtsanwaltschaft.
Die Rechtsanwaltskammer Köln ließ die Beschwerdeführerin mit Bescheid vom 15.05.2015 wegen des oben geschilderten Verhaltens nicht zur Anwaltschaft zu. Der Anwaltsgerichtshof des Landes Nordrhein-Westfalen bestätigte dies unter dem 30.10.2015 und ebenso der Bundesgerichtshof unter dem 27.06.2016.
Das Bundesverfassungsgericht hat am 22.10.2017 Bescheid der Rechtsanwaltskammer Köln und Urteil des AGH Nordrhein-Westfalen sowie des BGH aufgehoben und die Sache an den AGH Nordrhein-Westfalen zurückverwiesen. Die beiden Vorinstanzen hatten ob dieser Äußerungen die Beschwerdeführerin als unwürdig den Beruf einer Rechtanwältin auszuüben im Sinne des § 7 Nr. 5 BRAO angesehen. Diese Unwürdigkeit sollt sich aus dem Verhalten gegenüber dem Staatsanwalt und der ermittelnden Oberstaatsanwältin als auch aus der Verurteilung wegen Beleidigung sowie einer früheren Verurteilung wegen uneidlicher Falschaussage ergeben. Die Verurteilung wegen uneidlicher Falschaussage war mittlerweile aus dem Bundeszentralregister gelöscht.
Das Bundesverfassungsgericht bestätigte die Verfassungsmäßigkeit des § 7 Nr. 5 BRAO. Diese Vorschrift sei allerdings im Lichte der Berufsfreiheit einschränkend auszulegen. Ein Bewerber kann daher nicht allein deswegen als unwürdig im Sinne des § 7 Nr.5 BRAO angesehen werden, weil sein Verhalten im beruflichen Umfeld oder im gesellschaftlichen Bereich auf Missfallen stößt (Randziffer 21 der Entscheidung). Erforderlich ist in der Regel vielmehr, dass das von ihm gezeigte Fehlverhalten auch geeignet ist, dass Vertrauen in die Integrität der Rechtsanwaltschaft im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege zu beeinträchtigen (eben dort).
Konkret hatten Anwaltskammer, Anwaltsgerichtshof und BGH wohl darauf abgestellt, dass die Bewerberin dann unwürdig sei, wenn sie ein Verhalten gezeigt habe, dass bei Abwägung dieses Verhaltens mit allen erheblichen Umständen –wie z.B. Zeitablauf und zwischenzeitlicher Führung- , sie nach ihrer Gesamtpersönlichkeit für den Anwaltsberuf als nicht tragbar erscheinen lasse und deshalb das Interesse der Öffentlichkeit an der Integrität des Anwaltstandes vorgehe.
Das Bundesverfassungsgericht fand dies grundsätzlich verfassungsgemäß. Folgendes bemängelt das Gericht:
„Die Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs lässt insoweit bereits eine Prognoseentscheidung im Hinblick auf die Beeinträchtigung der einer Zulassung entgegenstehenden Interessen der Öffentlichkeit vermissen. Es hätte an dieser Stelle insbesondere näher ausgeführt werden müssen, dass und warum davon auszugehen ist, dass die Beschwerdeführerin im Falle ihrer Zulassung als Rechtsanwältin in einer Art und Weise auftreten würde, die das Vertrauen in die Integrität der Rechtsanwaltschaft insbesondere im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege beinträchtigen könnte, sei es, dass Gerichte Rechtsstreitigkeiten nicht mehr zielgerichtet und zweckmäßig betreiben oder aber die Rechtsuchenden eine vertrauenswürdige Rechtsberatung und Vertretung im Rechtsstreit nicht erlangen könnten (vgl. zu dieser Funktion des Rechtsanwalts Schmidt-Räntsch, in: Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl. 2014, § 7 BRAO Rn. 33).“ (Entscheidung Randziffer 29).
Fazit
Das Bundesverfassungsgericht hält die Berufsfreiheit hoch. Abwägungsprozesse müssen konkret durchgeführt werden und insbesondere bei Versagung (die ja für die Zukunft gilt) muss einen konkret an den Kern anliegender Ermächtigungsparagraphen geführte Abwägung und befürchtete Prognose stattfinden.
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