Endlich da: die gesellschaftsrechtliche Organisationsfreiheit der Anwälte
Übersicht über den wohl wichtigsten Teil der großen BRAO-Reform
Bisher ging die BRAO jahrzehntelang von sehr wenigen freiberuflichen Organisationsmöglichkeiten der Anwälte und auch nur mit ganz wenigen anderen Berufen aus.
Dieses enge Korsett wurde in den vergangenen vierzig Jahren durch Rechtsprechung punktuell geändert und führte zu einem derzeit bestehenden, in der BRAO geregelten Flickenteppich (§ 59a berufliche Zusammenarbeit in Form der Sozietät und Bürogemeinschaft, § 59c bis § 59m Rechtsanwalts-GmbH und weitere Möglichkeiten, die durch die Rechtsprechung zugelassen wurden, aber in der BRAO nicht ausdrücklich geregelt sind wie die Rechtsanwalts-AG, die Rechtsanwalts-KGaA und die Limited).
Dies stellt der Gesetzgeber nun mit der großen BRAO-Reform um und geht von der grundsätzlich zulässigen gesellschaftsrechtlichen Organisationsfreiheit der Anwälte aus. Er erweitert die Organisationsfreiheit nicht nur gesellschaftsrechtlich, sondern auch hinsichtlich der möglichen anderen Berufe, mit denen man zusammengehen kann.
Nunmehrige Grundstruktur der BRAO insoweit:
- § 59b BRAO regelt Grundsätzliches zur Berufsausübungsgesellschaft (die Berufsausübungsgesellschaft ist eine berufsrechtliche Bezeichnung für die gemeinsame Berufsausübung).
- § 59c Berufsausübungsgesellschaft mit Angehörigen anderer Berufe
- § 59d und § 59e Berufspflichten bei beruflicher Zusammenarbeit und der Berufsausübungsgesellschaft
- § 59f bis § 59h Zulassungsverfahren, Erlöschen, Rücknahme und Widerruf der Zulassung, Abwicklung
- § 59i bis § 59j Gesellschafter und Kapitalstruktur von Berufsausübungsgesellschaften, Geschäftsführungs- und Aufsichtsorganen
- § 59k und § 59l Rechtsdienstleistungsbefugnis und Vertretung vor Gerichten und Behörden
- § 59m Kanzlei der Berufsausübungsgesellschaft
- § 59n und § 59o Berufshaftpflichtversicherung und Mindestversicherungssumme und Jahreshöchstleistung
- § 59p Rechtsanwaltsgesellschaft
- § 59q Bürogemeinschaft
- § 59b regelt, dass Rechtsanwälte sich zur gemeinschaftlichen Ausübung ihres Berufes zur Berufsausübungsgesellschaften verbinden dürfen, auch wenn sie die einzigen Gesellschafter sind. § 59 b regelt weiter, dass alle Rechtsformen nach deutschem Recht sowie dem der Mitgliedstaaten der Europäischen Union und dem eines Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum möglich sind, ebenso außereuropäische Rechtsformen gemäß § 207a BRAO.
§ 59c regelt die Berufsausübungsgesellschaft mit Angehörigen anderer Berufe. Neben den bereits zulässigen Zusammenschlüssen mit Steuerberatern, Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfern, vereidigten Buchprüfern und Patentanwälten sowie Anwälten anderer Europäischer Staaten oder anderer Länder gemäß § 206 kommen neu alle Personen, die einen freien Beruf gemäß §1 Abs. 2 des Partnerschaftsgesellschaftsgesetzes (PartGG) ausüben, hinzu. - § 1 Abs. 2 PartGG führt beispielshalber auf: Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Heilpraktiker, Krankengymnasten, Hebammen, Heilmasseure, Diplom-Psychologen, beratende Volks- und Betriebswirte, Ingenieure, Architekten, Handelschemiker, Lotsen, hauptberufliche Sachverständige, Journalisten, Bildberichterstatter, Dolmetscher, Übersetzer und ähnliche Berufe sowie Wissenschaftler, Künstler, Schriftsteller, Lehrer und Erzieher.
Einzige Prüfungsvoraussetzung ist, dass die Verbindung mit dem Beruf des Rechtsanwaltes, insbesondere seiner Stellung als unabhängigem Organ der Rechtspflege, mit dem Beruf des anderen Freiberuflers vereinbar sein muss und das Vertrauen in seine Unabhängigkeit nicht gefährdet. Es wird dazu auf die Rechtsprechung zu § 7 Nr. 8 BRAO (Versagung der Zulassung zur Anwaltschaft, weil der Antragsteller eine Tätigkeit daneben ausüben will, die mit dem Beruf des Anwaltes und seiner Stellung bzw. dem Vertrauen in seine Unabhängigkeit unvereinbar ist) verwiesen. - Die §§ 59d und e regeln die Einhaltung der Berufspflichten bei beruflicher Zusammenarbeit und der Berufsausübungsgesellschaft. So müssen die Pflichten der BRAO und BORA bei der beruflichen Zusammenarbeit eingehalten werden, ebenso die Pflicht zur Vermeidung einer Interessenskollision, und es muss vorgesehen sein, dass Gesellschaftern bei wiederholter Pflichtverletzung gegen Berufspflichten der Ausschluss vertraglich droht.
- § 59e statuiert die Einhaltung der Berufspflichten für die Berufsausübungsgesellschaft.
- § 59n und § 59o regeln die Berufshaftpflichtversicherung und Mindestversicherungssumme.
Zugelassene Berufsausübungsgesellschaften müssen die Berufspflichten einhalten und selbst versichert sein. Die oben angegebenen Paragrafen sehen hierfür Folgendes vor:
BAG mit Haftungsbeschränkung | BAG mit Haftungsbeschränkung, aber nicht mehr als zehn Personen | Anerkannte BAG ohne Haftungsbeschränkung | |
Vorgaben gemäß BRAO | 2.500.000 € | 1.000.000 € | 500.000 € |
Vorgaben gemäß StBerG | 1.000.000 € | Keine Sonderregelung | 500.000 € |
Wenn Sie also Einzelanwalt ohne eigene Rechtsform einer Berufsausübungsgesellschaft bleiben wollen, ist das jederzeit möglich.
Wenn Sie in einer klassischen Sozietät ohne Haftungsbeschränkung bleiben wollen, ist dies ebenfalls möglich. Sie müssen dann nur die Mindestversicherungssummen beachten.
Wenn Sie Teil einer Berufsausübungsgesellschaft mit Haftungsbeschränkung sein wollen, dann müssen Sie – neben dem konkreten Haftungsrisiko und der damit einhergehenden Deckungssumme – die Vorgaben des §59o beachten.
§ 59n Abs. 3 BRAO regelt, dass bei Unterdeckung der Berufsausübungsgesellschaft die Gesellschaft und die Mitglieder des Geschäftsführungsorgans persönlich in Höhe des fehlenden Versicherungsschutzes haften. Damit wird für die Einhaltung der Summen gemäß § 59o Sorge getragen und es wird zugleich festgestellt, dass für „normale“ Haftungsfälle nicht die Gesellschafter, sondern die Berufsausübungsgesellschaft haftet.
Die BRAO regelt des Weiteren umfassend auch noch die berufsrechtlichen Rechte und Pflichten von Berufsausübungsgesellschaften. So gelten viele Pflichten aus der BRAO gemäß § 59e auch für die Berufsausübungsgesellschaft, sie darf auch nach § 59k Rechtsdienstleistungen erbringen und ist gemäß § 59l postulationsfähig. Ebenso wurde auch das Disziplinarrecht in der BRAO auf Berufsausübungsgesellschaften hin geändert.
Fazit
Sie haben also ab 1. August 2022 auf jeden Fall die Möglichkeit, sich mit anderen Berufen und/oder unter Aufgabe eigener Haftung beruflich zu betätigen.
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