Neues im anwaltlichen Berufsrecht
Am 01.08.2022 trat die „große BRAO-Reform“ in Kraft. Sie hat wesentliche Änderungen gebracht, die weiter unten kurz vorgestellt werden.
Vorab zum anwaltlichen Berufsrecht
Unter anwaltlichem Berufsrecht versteht man all diejenigen Reglungen, die sich mit der Zulassung zum Beruf und den Reglements zur Berufsausübung des Rechtsanwalts/der Rechtsanwältin in der Bundesrepublik Deutschland befassen. Der rechtsanwaltliche Beruf gilt als freier Beruf (also nicht gewerbetreibend). Die wesentlichen Regelungen traten am 01.10.1879 (RAO = Rechtsanwaltsordnung) in Kraft. Das erklärt auch, warum in den letzten Jahrzehnten immer wieder Änderungen nötig waren, denn der Freie Beruf „Rechtsanwalt“, so wie er vom Parlament im deutschen Reich ausgestaltet wurde, sieht mittlerweile völlig anders aus als damals. Wesentliche Rechtsmaterie neben dem Grundgesetz und EU-Recht sind heute:
- Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO)
- Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA)
- Fachanwaltsordnung (FAO)
- Gesetz über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland (EuRAG)
- Gesetz über Partnerschaftsgesellschaften Angehöriger freier Berufe (Partnerschaftsgesellschaftsgesetz – PartGG)
Diese Gesetzesmaterien, insbesondere die BRAO, haben im Wesentlichen die Zulassung und den Widerruf zur Anwaltschaft, die allgemeinen und besonderen Pflichten des Anwaltes (insbesondere §§ 43, 43 a, 43 b ff. BRAO und §§ 2 bis 33 BORA), die öffentlich-rechtliche und disziplinarrechtliche Gerichtsbarkeit für Anwälte, die Struktur der Rechtsanwaltskammern und der Bundesrechtsanwaltskammer, die Syndikusrechtsanwälte und insbesondere die Möglichkeit der Zusammenarbeit mit anderen Rechtsanwälten bzw. anderen Berufen zum Inhalt.
Es ist also die Grundlage, um den Beruf überhaupt ausüben zu können und regelt ansonsten, wie er ausgeübt werden sollte, indem einige gesetzliche Pflöcke die Berufsausübungsfreiheit begrenzen. Die Nichtbeachtung des Berufsrechts kann zu Schadensersatzansprüchen der Mandanten gegen den Anwalt, zu disziplinarrechtlichen Ahndungen bis hin zum Widerruf der Zulassung führen. Insbesondere die allgemeinen und besonderen Berufspflichten sollten eingehalten werden. Die allgemeinen (sogenannte Core Values) sind: Unabhängigkeit, Verschwiegenheit, Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen, Sachlichkeit, Gewissenhaftigkeit und soziale Verantwortung (siehe § 43 a BRAO). Besondere Pflichten gibt es bei: Werbung, Fachanwaltschaften, Inanspruchnahme von Dienstleistungen und – durch die BORA genauer gefasst zu Themen wie Briefbögen, Mandatsbearbeitung und Unterrichtung des Mandanten, Umgehung des Gegenanwalts, Zustellungen, Mandatswechsel, Prozesskosten- und Beratungshilfe, Zurückbehalten von Handakten, Akteneinsicht, Berufstracht, Honorarvereinbarungen, Abrechnungsverhalten und Pflichten gegenüber der Rechtsanwaltskammer sowie im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr und bei beruflicher Zusammenarbeit.
Nun zu der am 01.08.2022 in Kraft getretenen Großen BRAO-Reform
Die größte BRAO-Reform seit 1994 tritt am 1. August 2022 in Kraft. Der Gesetzgeber hat kurz vor Ablauf dieser Legislaturperiode (im Sommer 2021) in einem Großvorhaben versucht, die Bundesrechtsanwaltsordnung, das Steuerberatergesetz und die Patentanwaltsordnung zu reformieren, um ein Gesamtsystem entstehen zu lassen. Zugleich hat er auch das Gesetz zum Legal-Tech-Inkasso umfassend geändert und unter anderem Anwälten Erfolgshonorare erlaubt, damit sie mit Legal-Tech-Inkasso-Dienstleistern konkurrieren können. Worum geht es nun in der großen BRAO-Reform schwerpunktmäßig?
Wesentliche Änderungen im anwaltlichen Gesellschaftsrecht
Es sind jetzt alle Rechtsformen in Deutschland, der EU und aus anderen Staaten der EU und des EWR für eine Anwaltsgesellschaft in Deutschland möglich. So kann es jetzt z. B. auch die Rechtsform der GmbH & Co. KG geben. Alle Berufsausübungsgesellschaften sind nunmehr berufsrechtlich zulassungspflichtig und werden somit von der jeweiligen Rechtsanwaltskammer kontrolliert. Die Berufsausübungsgesellschaften werden auch in das elektronische Anwaltsverzeichnis aufgenommen und es wird ein beA-Gesellschaftskanzlei-Postfach geben. Ebenso können andere Freiberufler Gesellschafter einer Anwaltsberufsausübungsgesellschaft werden. Die BRAO-Reform erstreckt diese Möglichkeit auf alle freien Berufe, sodass neben den bisher möglichen Patentanwälten, Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern und Buchprüfern nunmehr auch die Gesundheitsberufe (Ärzte, Apotheker), Architekten, Ingenieure sowie Unternehmensberater und hauptberufliche Sachverständige Gesellschafter werden können. Gefordert war vom DAV, dass alle Berufe sozietätsfähig und vereinbar sein sollen, die ein Anwalt auch im Zweitberuf ausüben darf. Soweit wollte der Gesetzgeber nicht gehen und hat dies nur auf andere freie Berufe erstreckt.
Zuletzt gibt es eine Liberalisierung und ausdrückliche Regelung der Bürogemeinschaft. Gemeint sind damit alle Gesellschaften, die gemeinschaftliche Berufsausübung organisieren, jedoch selbst nicht Anwaltsverträge abschließen. Für diesen Fall besteht keine Pflicht zur Prüfung von Interessenskollisionen mehr. Da keine Mandate gemeinsam bearbeitet werden, müssen Interessenskollisionen und sensibles Wissen nicht durch Tätigkeitsverbote geschützt werden. Mitglieder einer Bürogemeinschaft können neben allen anderen freien Berufen hier auch all jene Berufe sein, die ein Anwalt als Zweitberuf (s. § 7 Nr. 8 BRAO) ausüben darf und die nicht das Vertrauen in die anwaltliche Unabhängigkeit gefährden. Dies gilt jedoch nicht für Anwaltsnotare, hier wurde keine Veränderung zur bisherigen Rechtslage vorgenommen.
Neue Regelung der Interessenskollision
In der BRAO-Reform wurde nunmehr umfassend in § 43a Abs. 4–6 BRAO (neu) die Interessenskollision geregelt. § 3 BORA ist damit ab 1. August 2022 hinfällig. Es hat sich nicht grundlegend etwas geändert, außer der Nichterstreckung der I-Kollision auf Bürogemeinschaftler (s. o.). Einige bisherige Zweifelsfälle sind geklärt worden.
Verhandlungen vor dem Anwaltsgericht
Verhandlungen vor dem Anwaltsgericht werden nunmehr öffentlich, die bisherige Sonderbestimmung § 135 BRAO fällt weg.
Fortbildungspflicht
§ 43f BRAO iVm § 5a BORA bestimmt, dass ab 1. August 2022 Anwälte nur noch zugelassen werden, wenn sie (spätestens ein Jahr nach Zulassung) nachweisen, an einer Lehrveranstaltung über mindestens zehn Zeitstunden über das anwaltliche Berufsrecht teilgenommen zu haben. § 5a BORA fasst den inhaltlich Berufsrecht etwas genauer. Dies gilt nicht für bereits zugelassen Kollegen.
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Mehr zum Autor Rechtsanwalt Thomas Röth finden Sie unter RA Thomas Röth.