Zugang zum Recht in Berlin
Interessante Rechtstatsachenforschung zu diesem Thema: jetzt zur Beratungs- und Prozesskostenhilfe
Seit Dezember 2020 forscht das Wissenschaftszentrum in Berlin für Sozialforschung im Auftrag der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz zum Thema „Zugang zum Recht in Berlin“. Damals interessierte die Senatsverwaltung das Thema Zugang zum Recht hinsichtlich verschiedener Bevölkerungsgruppen. Prof. Wrase, der Leiter des Projekts, ist Jurist und Rechtssoziologe. Das BAB, vertreten durch RA Röth und RA Langhaeuser, unterhielt sich mit ihm über die Forschungen am 14. März und 11. April 2024. Prof. Wrase teilte mit, dass es mit rechtstatsächlicher Forschung in Deutschland im Vergleich zu vielen anderen Ländern eher schlecht aussieht. Es gab wenige Studien in den 1980ern und 90ern. Die Justizforschung beschäftigt sich eher mit Erledigungszahlen (siehe die Justizstatistiken beim Statistischen Bundesamt). Ebenso gibt es auch kaum Forschung zu tatsächlichen Änderungen zum Beispiel im Rechtsanwaltsbereich (außer von Prof. Kilian in Köln).
Alle Fälle vor den Amtsgerichten Berlins zu Wohnungsmiet-, Kauf- und Verbraucherrecht zwischen 2017 und 2020
In einer ersten Phase fragten sich die Wissenschaftler, welche Forschung sinnvoll sein könnte (sinnvoll meint hilfreich auch für die Justizpraxis für etwaige Änderungen). Es wurden Gespräche mit Richtern, Rechtspflegern, Rechtsantragstellenleuten, Anwälten, Integrationsverbänden und Legal-Tech-Stellen geführt, eben mit dem Ziel, Themen sinnvoller Forschung zu eruieren. Es stellte sich heraus, dass für die Vergleichbarkeit verschiedener Bevölkerungsgruppen das Zivilrecht und da insbesondere das Wohnungsmiet-, Kauf- und Verbraucherrecht gewählt werden sollte. Das Migrations- oder Sozialrecht eignet sich eher weniger, denn dann ist ja die Gruppe durch das Recht definiert. Das Kammergericht stellte der Forschungsgruppe in der zweiten Phase Datensätze aus dem Gerichtsautomationsprogramm ForumStar von über 250.000 an Verfahren beteiligten Personen aus den Jahren 2017 bis 2020 sowie die Daten zu etwa 100.000 Beratungshilfeanträgen zur Verfügung. Es handelte sich um Daten zu sämtlichen Wohnraummietrechts- und Kaufrechtsakten sowie Beratungshilfeanträgen aller Berliner Amtsgerichte in diesem Zeitraum. Von den gut 250.000 Verfahren waren 73 Prozent Mietrechtssachen und 27 Prozent Kaufrechtssachen. Genutzt wurde die Maske von ForumStar, in der Kläger, Beklagte, das Rechtsgebiet und die Kostenquote ausgeworfen waren. Die Gruppe um Prof. Wrase hat sich dann verschiedener Methoden bedient, um diese auszuwerten. Sie hat sich auch mit PKH und Beratungshilfe insoweit befasst und kam zu erschreckenden Erkenntnissen.
Zur Auswertung der Aktendatensätze hinsichtlich BerH und PKH Beratungshilfe
Die Auswertung der 100.000 Beratungshilfeanträge aus den Jahren 2018 bis 2022 ergab unter BerH-Gesichtspunkten Folgendes: Im Jahre 2018 gab es 30.274 Beratungshilfeanträge an Berliner Amtsgerichten, in 2019 26.278, in 2020 17.379, in 2021 13.700 und in 2022 12.400.
Die Ausgaben für Beratungshilfe des Landes Berlin lag 2002 bei 1,5 Millionen Euro, stieg dann bis zum Jahre 2006 auf 5 Millionen Euro an und fiel langsam ab, bis sie im Jahre 2020 unter 1 Million Euro fiel.
Von den Beratungshilfeanträgen wurden in den Jahren 2018 bis 2022 70 Prozent bewilligt, 13,4 Prozent abgelehnt und über 5,1 Prozent nicht entschieden, bei 11,4 Prozent endete es sonstig.
Auf die Berliner Amtsgerichte verteilt und dort sich die Ablehnungsraten ansehend, führt das Amtsgericht Kreuzberg mit über 30 Prozent abgelehnter Anträge im Zeitraum 2018 bis 2022, gefolgt vom AG Lichtenberg mit 26 Prozent und dann kommt das AG Wedding mit guten 20 Prozent.
Hoch interessant ist auch die Abrechnungsquote, das bedeutet, es gibt einen Beratungshilfeschein und dann eruiert man, ob er auch eingereicht und abgerechnet wurde.
2018 wurden 45 Prozent der erteilten Beratungshilfescheine abgerechnet, dementsprechend 55 Prozent nicht. 2019 wurden 56 Prozent abgerechnet und 44 Prozent nicht. Das bleibt so ähnlich bis 2022. In diesem Jahr wurden 33 Prozent abgerechnet und 67 Prozent nicht abgerechnet.
Im Durchschnitt wurden in den Jahren 2018 bis 2022 ca. 30 Prozent der Beratungshilfeanträge von Anwälten gestellt und die restlichen 70 Prozent ohne Anwalt beantragt.
Auffällig ist auch, dass die Besetzung der Beratungshilfestellen bei den Amtsgerichten zum Teil mit fest dafür vorgesehenen Personen vorgenommen wird und zum Teil mit einem Rotationsmodell.
Zu erkennen war auch, dass viele Beratungshilfeantragsteller nach Bewilligung nach geeigneten Anwaltskanzleien fragen und ihnen dann nicht wirklich Informationen an die Hand gegeben werden.
Die Sätze für Beratungshilfe derzeit sind:
- für die Erstberatung 38,50 Euro (2501 VV RVG),
- für die Beratungstätigkeit im Schuldenbereinigungsverfahren 77,00 Euro (2502 VV RVG),
- für eine außergerichtliche Vertretung 93,50 Euro (2503 VV RVG),
- für die Erstellung eines Schuldenbereinigungsplans mit dem Ziel einer außergerichtlichen Einigung bei bis zu fünf Gläubigern 297,00 Euro (2503, 2504 VV RVG), bei sechs bis zehn Gläubigern 446,00 Euro (2503, 2505 VV RVG), bei elf bis 15 Gläubigern 594,00 Euro (2503, 2506 VV RVG) und bei mehr als 15 Gläubigern 743,00 Euro (2503, 2507 VV RVG).
Prozesskostenhilfe
Von den ca. 250.000 Zivilgerichtsverfahren vor den Berliner Amtsgerichten in den Jahren 2017 bis 2020 für Kauf- und Mietsachen wurden in 4 Prozent Prozesskostenhilfeanträge von Anwälten gestellt und diese zu 60 Prozent bewilligt. Es wurden in gut 1,1 Prozent der Fälle Prozesskostenhilfeanträge ohne Anwalt gestellt und diese zu 90 Prozent abgelehnt. Die zur Verfügung gestellten Daten erlauben leider keine vertieften Aussagen dazu, woran die Ablehnung lag, ob zum Beispiel an mangelnder Erfolgsaussicht oder an nicht hereingereichten Unterlagen, um die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu überprüfen, oder eben Nichtvorliegen der finanziellen Voraussetzungen. Genauere Erkenntnisse könnten allerdings im Rahmen einer Dokumentenanalyse gewonnen werden, die, wie Wrase ausführt, aufgrund von Mittelkürzungen im Projekt leider zunächst zurückgestellt werden musste.
Fazit
Die rechtstatsächliche Forschung macht ganz klar, dass der Zugang zum Recht bezogen auf Beratungshilfe und Prozesskostenhilfe dringend der Verbesserung bedarf. Es müsste insbesondere dafür Sorge getragen werden, dass Beratungshilfe beantragende Menschen ihr Anliegen auch bei kompetenten Personen in der Rechtsantrags-/Beratungshilfestelle vortragen können, verstanden werden und den Antragstellern effizient geholfen wird durch Gewährung des Berechtigungsscheines für alle erwähnten und ausgeführten Streitgegenstände, soweit bewilligbar.
„Die rechtstatsächliche Forschung macht ganz klar, dass der Zugang zum Recht bezogen auf Beratungshilfe und Prozesskostenhilfe dringend der Verbesserung bedarf“
Es sollte auch dafür Sorge getragen werden, dass ein Berechtigungsscheininhaber ohne weitere Probleme einen geeigneten Rechtsanwalt/Rechtsanwältin findet. Das soziologisch allseits bekannte Referral-Fatigue-Syndrom sollte verhindert werden. Die Gebührensätze sollten erhöht werden (ab 5000 Euro ist die Gebührenhöhe zwischen Wahl- und PKH-Anwalt unterschiedlich: Beispiel SW 20.000 Euro: 2,5 Gebühr netto, ohne Postpauschale und USt: Wahl 2055,00 Euro und PKH 997,50 Euro) und ein administrativer Bewilligungsprozess und Abrechnungsprozess minimiert. Stichproben zur Überprüfung dürften genügen.
Zur Prozesskostenhilfe
Hier sollten wir uns selber am Schopf packen und bei der Möglichkeit der Prozesskostenhilfe diese auch für die Mandanten beantragen. Vielleicht sollte auch bei Gerichten eine eigene PKH-Abteilung für alle Verfahren, das Gericht betreffend, eingerichtet werden, so dass der erkennende Richter vom PKH-Verfahren entlastet ist.
Ob der administrative Aufwand (PKH-Formular und die Belege, die eingereicht werden müssen) wirklich in diesem Umfang nötig ist, sei bezweifelt.
Eine eigene Gebühr für die PKH-Arbeit, die bei Bewilligung nicht in den PKH-Gebühren aufgeht, wäre sinnvoll.
Wir sollten uns auch mit oder über die Anwaltskammer, den Anwaltsverein, mit dem Berliner Richterbund und anderen Justizbeteiligten zusammensetzen, um Missstände zu beseitigen.
Ausblick
Es folgt nunmehr die dritte Stufe der Forschung. Es soll jetzt mit Datensätzen und den elektronischen Akten eine vertieftere Prüfung zum Thema „Zugang zum Recht in Berlin: Gewaltschutzgesetz, Betroffenenperspektiven und Einhaltung der Istanbul-Kommission“ erfolgen. Allen Beteiligten sei gedankt dafür, dass Rechtstatsachenforschung in Berlin stattfindet und solch interessante Ergebnisse gezeitigt werden. Wir hoffen auf weitere Erkenntnisse und guten problemlösenden Umgang im Nachgang. Dazu wäre ein Treffen mit dem Berliner Anwaltsverein, der Berliner Rechtsanwaltskammer, dem Landesverband Berlin des Deutschen Richterbundes und weiteren Beteiligten ab September/Oktober 2024 (da wird die Studie veröffentlicht) zu wünschen.
Das Thema geben die Ergebnisse der Studie vor: Wie kann der Zugang zum Recht für BerH und PKH verbessert werden.
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Mehr zum Autor Rechtsanwalt Thomas Röth finden Sie unter RA Thomas Röth.
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