Verbot der doppelten Treuhandtätigkeit
Ist einem Rechtsanwalt eine Treuhand für beide Seiten verboten?
Ein paar Anmerkungen zur Ergänzung des § 3 Abs. 1 BORA
Artikel von Rechtsanwalt Martin Liebert, erschienen im Berliner Anwaltsblatt (2016, Seite 354 f.)
Am 05.05.2014 hat die Satzungsversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer eine Änderung der Berufsordnung in § 3 Abs. 1 BORA beschlossen. Folgende Formulierung wurde als Satz 2 eingefügt und ist mit dem 01.01.2015 auch in Kraft getreten:
„Der Rechtsanwalt darf in einem laufenden Mandat auch keine Vermögenswerte von dem Mandanten und/oder dem Anspruchsgegner zum Zweck der treuhänderischen Verwaltung oder Verwahrung für beide Parteien entgegennehmen.“
§ 3 Abs. 1 S. 2 BORA
Keine Verschärfung, sondern nur eine Klarstellung
In der Begründung des Antrags an die Satzungsversammlung wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass nach Ansicht des zuständigen Ausschusses durch diesen ergänzenden Satz der § 3 BORA nicht verschärft würde. Vielmehr ginge es darum, die Anwälte für die Problematik zu sensibilisieren und ihnen eine Handreichung zu geben.
§ 3 Abs. 1 BORA findet seine gesetzliche Grundlage in der Bundesrechtsanwaltsordnung, genauer in den Grundpflichten des Rechtsanwalts nach § 43 a Abs. 4 BRAO. Danach darf der Rechtsanwalt keine widerstreitenden Interessen vertreten. Die in § 59 b Abs. 1 und 2 BRAO normierte Satzungsermächtigung für unsere Berufsordnung erlaubt es, einzelne, katalogartig aufgezählte Berufsrechte und -pflichten näher zu regeln. Die Ermächtigung für § 3 Abs. 1 Satz 2 BORA findet sich demnach in § 59 b Satz 2 Nr. 1 e BRAO. Danach darf die Berufsordnung das „Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen“ näher regeln.
Wenn es sich aber bei der Änderung lediglich um eine Klarstellung oder Hilfestellung hinsichtlich einer altbekannten Berufspflicht handeln soll und gerade keine Verschärfung berufsrechtlicher Pflichten bezweckt war, dann wird damit deutlich, dass im Rahmen der doppelten Treuhand einiges im Argen lag. Es lohnt sich also, die neue Regelung als Anlass zu nehmen, um die eigentlich alte Problematik näher zu beleuchten.
Fälle der doppelten Treuhand in der Praxis
Als sogenannte „doppelnützige Treuhand“ ist die treuhänderische Verwaltung als Werkzeug bei Unternehmenstransaktionen und Unternehmenssanierungen bekannt geworden. Je nach dem verwendeten Modell hält der Treuhänder z. B. Anteile an einem Unternehmen für den Unternehmer selbst und zugleich auch für die darlehensgebende Bank. Wird ein Investor gefunden, der zugleich auch den Interessen der Bank entspricht, dann nimmt der Treuhänder die Übertragung der Geschäftsanteile des Unternehmensinhabers auf den Investor vor. Ein Geschäftsmodell, das sich als überaus lukrativ erwiesen hat und sich daher auch bei Anwälten einer gewissen Beliebtheit erfreut.
Aber auch im kleineren und alltäglicheren Rahmen kommt es regelmäßig zu kritischen Situationen im Zusammenhang mit dem Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen. Etwa dann, wenn der Anwalt Geld vom Gegner seines Mandanten entgegennimmt, das er nur unter besonderen Auflagen an diesen auszahlen soll.
Dem Autor ist es selbst diverse Male insbesondere in baurechtlichen Streitfällen angetragen worden. Der eigene Mandant hat einen Geldanspruch gegen einen Dritten. Aus Sicht des Dritten allerdings muss der Mandant noch bestimmte Voraussetzungen erfüllen, etwa weitere Leistungen erbringen oder Mängel beseitigen, bevor die Zahlung den Mandanten erreichen soll.
Deshalb schlägt der Dritte gerne vor, dass der Rechtsanwalt das Geld auf seinem Treuhandkonto „parken“ möge, verbunden mit der Auflage, dass das Geld nur ausgezahlt werden darf, wenn der eigene Mandant bestimmte Voraussetzungen erfüllt hat. Neben einer derartigen, für das Baurecht typischen Konstellation, kommt eine dergestalte Abwicklung auch in anderen Rechtsgebieten vor. Regelmäßig, wenn Zug-um-Zug-Leistungen in Rede stehen.
Eine doppelte Treuhand entsteht jedenfalls deutlich schneller, als man gemeinhin annehmen mag. So ist in der Entscheidung des BGH (BGH vom 01.12.1988 – III ZR 151/87) angenommen worden, dass der Anruf des Anwalts bei dem Prozessgegner mit der wahrheitsgemäßen Mitteilung, dass der auf das Anderkonto überwiesene Betrag dem Gläubiger nach Klärung der gegenseitigen Ansprüche zur Verfügung stehe, bereits ausreichend gewesen sei, um eine doppelte Treuhand anzunehmen.
Andererseits hat der BGH aber auch entschieden (BGH vom 12.10.2006 – IX ZR 108/03), dass keine doppelte Treuhand vorliegen soll, wenn der Rechtsanwalt Geld auf sein Anderkonto erhält, dass von einem Dritten in Erfüllung einer mit dem Mandanten getroffenen Vereinbarung geleistet wird. Hier soll es sich lediglich um eine Tätigkeit als Vertreter des Mandanten handeln.
Tatbestandsmerkmal der Neuerung
Sieht man sich die Tatbestandsmerkmale des § 3 Abs. 1 Satz 2 BORA genauer an, so sind dies:
- ein laufendes Mandat des Rechtsanwalts
- die Annahme von Vermögenswerten
- vom Mandanten und/oder Gegner
- zum Zweck der treuhänderischen Verwaltung oder Verwahrung für beide Parteien
Unter dem laufenden Mandat ist die berufliche Befassung des Rechtsanwalts mit dem Lebenssachverhalt zu verstehen.
Auch das Tatbestandsmerkmal der Annahme von „Vermögenswerten“ scheint insgesamt wenig Probleme aufzuweisen. Zumindest besteht – soweit ersichtlich – Einigkeit darüber, dass der Begriff der „Vermögenswerte“ weit auszulegen ist. Insbesondere sollen nach der Begründung des Antrags an die satzungsgebende Versammlung auch Geschäftsanteile von dem Begriff umfasst sein. Damit ist die typische gesellschaftsrechtliche oder sanierungsrechtliche Konstellation nach dem Willen der Satzungsversammlung hier wohl mit umfasst.
Auch das dritte Tatbestandsmerkmal scheint unproblematisch.
Wesentlich unklarer dagegen ist das vierte Tatbestandsmerkmal – die treuhänderische Verwahrung für beide Parteien. In einer Entscheidung des BGH aus dem Jahre 1988 (BGH vom 01.12.1988 – III ZR 151/87) geht das Gericht wohl davon aus, dass eine doppelte Treuhand bereits dann vorliegt, wenn der Anwalt nicht nur gegenüber einer Partei, sondern auch gegenüber einer anderen Partei Pflichten übernimmt.
Streitstand in der Literatur
Dies wäre eine recht weitreichende Definition der doppelten Treuhand und würde wohl auch die Fälle der sogenannten doppelnützigen Treuhand einschließen. So zumindest Römermann (Anwaltsblatt 2015, 34–36), der in seiner Stellungnahme jede doppelte Treuhand als hochproblematisch ansieht. Der Anwalt sei per Definition stets seinem Mandanten verpflichtet, niemandem sonst und erst recht nicht der Gegenseite. Hier gehe es immer um Interessenskollision. Letztendlich ist er zutreffend der Auffassung, dass es eine doppelte Treuhand ohne Interessenskonflikt zwischen eigenem Mandanten und Dritten nicht gibt.
Szalai/Tietze dagegen wollen das Merkmal der treuhänderischen Verwahrung enger auslegen (Anwaltsblatt 2015, 37–43). Nach ihrer Auffassung soll der neu eingefügte Satz 2 des § 3 Abs. 1 BORA nur derartige doppelte Treuhandverhältnisse umfassen, bei denen eine Interessenskollision vorliegt. Dies sei nicht der Fall, wenn die Abrede zur Wahrnehmung der doppelnützigen Treuhand zwischen den Parteien so ausgestattet ist, dass dem Rechtsanwalt keinerlei eigener Ermessens- oder Beurteilungsspielraum bleibt. Wo kein eigenes Ermessen des Anwaltes, da auch keine mögliche Interessenskollision. So lässt sich der Gedankengang vielleicht in aller Kürze zusammenfassen.
Soweit ersichtlich gibt es noch keine obergerichtlichen oder gar höchstgerichtlichen Entscheidungen zum neuen § 3 Abs. 1 Satz 2 BORA. Für die Praxis ergibt sich damit für jeden übernommenen Fall einer doppelten Treuhand ein erhebliches Potential an Unsicherheit und eine nicht zu unterschätzende Haftungsproblematik. Zumal noch darauf hingewiesen werden muss, dass nach Ansicht des BGH im Zweifel der Treuhandvertrag mit allen Rechtsanwälten einer Sozietät zustande kommt (BGH vom 08.01.2007 – IX ZR 5/06).
Der Autor neigt daher der strengeren und insoweit auch klareren Auffassung von Römermann zu. Treuhandverhältnisse sollten grundsätzlich nicht in die Hand von Rechtsanwälten und Rechtsanwaltssozietäten gegeben werden. Oder – direkter formuliert – wir sollten als Anwälte die Hände davon lassen.
Folgen eines Verstoßes
Die möglichen Konsequenzen eines Verstoßes gegen das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen sind im Übrigen sowohl für den Anwalt als auch für seine Mandanten beträchtlich.
Die Maßnahmen, die das Anwaltsgericht gegenüber dem Kollegen verhängen kann, sind erheblich (z. B. Geldbußen bis zu 25.000,00 EUR oder auch das Verbot in einem Zeitraum von einem bis zu fünf Jahren auf einem bestimmten Rechtsgebiet als Vertreter oder Rechtsbeistand tätig zu werden, vgl. § 114 BRAO). Hinzu kommt die berufsrechtliche Pflicht zur Mandatsniederlegung. Dabei ist der Anwalt verpflichtet, sämtliche betroffene Mandate niederzulegen, nicht nur etwa das zuletzt angenommene.
Unschön sind auch die zivilrechtlichen Folgen. Nach § 628 Abs. 1 Satz 2 BGB verliert der Anwalt seinen Gebührenanspruch, wenn er das Mandat niederlegt bzw. niederlegen muss. Daneben können sich aus § 628 Abs. 2 BGB Schadensersatzforderungen des oder der Mandanten ergeben.
Schlussendlich darf die Strafrechtsnorm des § 356 StGB, der Parteiverrat, nicht vergessen werden. Theoretisch drohen hiernach dem Anwalt bis zu fünf Jahre Haft.
Eingedenk der drohenden Konsequenzen mag jeder Kollege selbst entscheiden, ob die Übernahme von Tätigkeiten im Rahmen einer doppelten Treuhand das Risiko wert sind oder nicht. Dem Autor erscheint es jedenfalls sinnvoller, Mandanten mit derartigem Ansinnen an einen Notar oder Wirtschaftsprüfer zu verweisen. Die Ausgestaltung dieser Berufsbilder ist deutlich besser geeignet, um die wechselseitigen Interessen der Parteien zu berücksichtigen, unser Kerngeschäft als Anwälte ist es nicht.
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