Wie rechne ich ab, wenn in einem Gerichtsverfahren ein anderes mit erledigt oder verglichen wird?
Berufsrecht: Wie miterledigte Sachverhalte die Gebühren beeinflussen
Artikel von RENOFA Sabine Czaja und Rechtsanwalt Thomas Röth, erschienen im Berliner Anwaltsblatt (2016, Seite 364 f.).
Sachverhalt aus der eigenen Praxis vor Kurzem
Es gab eine Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Potsdam, die mittlerweile in der Berufung vor dem LAG Berlin-Brandenburg (Einbeziehungsverfahren) verhandelt wird. Des Weiteren gab es ein Jahr später eine weitere vorsorgliche Kündigung, gegen die Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht eingereicht wurde (einbezogenes Verfahren). Das Verfahren vor dem Arbeitsgericht Potsdam wurde wegen Vorgreiflichkeit ausgesetzt (wenn die alte Kündigung wirksam gewesen sein sollte, müsste die ein Jahr später ausgesprochene nicht mehr geprüft werden), also keinen Termin vor dem Arbeitsgericht Potsdam, sondern nur die Einreichung der Klage. Dann gibt es einen Termin vor dem Landesarbeitsgericht im o. a. Verfahren, in welchem ein endgültiger Vergleich erzielt wird. In diesem Vergleich wird auch das Verfahren vor dem Arbeitsgericht Potsdam beendet und es wird ein bisher überhaupt nicht rechtshängiger Streitgegenstand, nämlich ein Zeugnis, mit verglichen.
Wir haben also folgende Gegenstände/Streitwerte:
- vor dem LAG reiner Kündigungsschutzklagenstreitwert (durchschnittliches Vierteljahresgehalt) angenommen 16.500,00 EUR
- Streitwert der rechtshängigen Gegenstände vor dem Arbeitsgericht Potsdam (Vierteljahresgehalt) 16.500,00 EUR
- vor dem LAG mit verglichener nicht rechtshängiger Streitgegenstand über ein Zeugnis (1 Monatsgehalt) 5.500,00 EUR
Wie ist nun abzurechnen nach RVG?
Exkurs
Für mitverglichene nichtrechtshängige Gegenstände, die überhaupt bei gar keinem Gericht rechtshängig sind (im Beispiel das Zeugnis), ist die Abrechnung einigermaßen einfach:
Je nach Instanz, in der der Vergleich geschlossen wird:
I. Instanz
1,3 Verfahrensgebühr über den Streitgegenstand gem. Nr. 3100 VV RVG
0,8 Verfahrensgebühr über den nicht rechtshängigen Streitgegenstand gem. Nr. 3101 VV RVG
Kappungsgrenze nach § 15 III RVG in Höhe von 1,3 über den Gesamtstreitwert (nichtrechtshängig und rechtshängig)
1,2 Terminsgebühr über den Gesamtstreitwert gem. Nr. 3104 VV RVG
1,0 Einigungsgebühr über den rechtshängigen Streitwert gem. Nr. 1003 VV RVG
1,5 Einigungsgebühr über den nicht rechtshängigen Streitwert Nr. 1000 VV RVG
Kappungsgrenze nach § 15 III RVG in Höhe von 1,5 über den Gesamtstreitwert (nichtrechtshängig und rechtshängig)
Entgeltpauschale und Umsatzsteuer (7002 und 7008) bleiben hier, da unnötig, weg.
oder
II. Instanz
1,6 Verfahrensgebühr über den rechtshängigen Streitgegenstand gem. Nr. 3200 VV RVG
1,1 Verfahrensgebühr über den nicht rechtshängigen Streitgegenstand 3201, 3200 VV RVG
Kappungsgrenze nach § 15 III RVG in Höhe von 1,6 über den Gesamtstreitwert (nichtrechtshängig und rechtshängig)
1,2 Terminsgebühr über den Gesamtstreitwert gem. Nr. 3202 VV RVG
1,3 Einigungsgebühr über den rechtshängigen Streitgegenstand gem. Nr. 1004 VV RVG
1,5 Einigungsgebühr über den nicht rechtshängigen Streitgegenstand gem. Nr. 1000 VV RVG
Kappungsgrenze nach § 15 III RVG in Höhe von 1,5 über den Gesamtstreitwert (nichtrechtshängig und rechtshängig)
Wie ist das aber nun mit mitverglichenen in anderen Verfahren rechtshängigen Ansprüchen (in diesem Fall die weitere Kündigung vor dem Arbeitsgericht Potsdam – einbezogenes Verfahren)?
Das RVG geht davon aus, dass man bei Mitvergleich anderweitig rechtshängiger Ansprüche in einer Angelegenheit tätig wird. Nur wenn der Rechtsanwalt in der anderen (mitverglichenen) Angelegenheit gebührenrechtlich tätig wurde, handelt es sich um eine zweite Angelegenheit, so dass dem Rechtsanwalt diese Gebühren zusätzlich zustehen. Nach dem Gesetz entsteht allerdings nur eine neue Verfahrensgebühr, weshalb eine Anrechnung auf bereits verdiente (anderweitige rechtshängige) Gebühren vorzunehmen ist.
Zur Verfahrensgebühr
Die Nummer 3101 VV RVG und dort der Absatz 1 sagt Folgendes:
„Soweit in den Fällen der Nummer 2 der sich nach § 15 Abs. 3 RVG ergebende Gesamtbetrag der Verfahrensgebühren die Gebühr 3100 VV RVG übersteigt, wird der übersteigende Betrag auf eine Verfahrensgebühr angerechnet, die wegen derselben Angelegenheit in einer anderen Angelegenheit entsteht.“
VV RVG Nr. 3201 sagt im Absatz vor dem zweiten Absatz Folgendes:
„Soweit in den Fällen der Nummer 2, der sich nach § 15 Abs. III RVG ergebene Gesamtbetrag der Verfahrensgebühren die Gebühr 3200 VV RVG übersteigt, wird der übersteigende Betrag auf eine Verfahrensgebühr angerechnet, die wegen desselben Gegenstandes in einer anderen Angelegenheit entsteht.“
Gemeint ist damit, dass von einer Verfahrensgebühr, die ich z. B. durch Einreichung der Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht Potsdam verdient habe, wegen der Einbeziehung und Mitberechnung im Einbeziehungsverfahren etwas in Abzug gebracht werden muss.
Wie der Abzug genau zu ermitteln ist, zeigt die kommentierte Tabelle unten anhand des o. a. Beispiels.
Im Einbeziehungsverfahren (in diesem Fall das Berufungsverfahren vor dem LAG Berlin – Brandenburg) entsteht wie gewohnt eine 1,6 Verfahrensgebühr nach den in diesem Verfahren rechtshängigen Ansprüchen (GW: 16.5000 EUR) und eine 1,1 Differenzverfahrensgebühr nach den mitverglichenen, in diesem Verfahren nicht rechtshängigen Ansprüchen (hier die weitere Kündigung vor dem Arbeitsgericht Potsdam= GW 16.500 EUR und das Zeugnis = 5.500 EUR, gesamt demnach 22.000 EUR). Ein Abgleich nach § 15 III RVG (max. 1,6 aus 38.500 EUR) hat zu erfolgen.
Die Verfahrensgebühr des einbezogenen Verfahrens (hier vor dem Arbeitsgebricht Berlin) muss hingegen wie folgt reduziert werden:
1. Zunächst wird die Verfahrensgebühr des Einbeziehungsverfahren ohne den einbezogenen Anspruch berechnet (im Fall also 1,6 nach 16.500 EUR).
2. Sodann sind die Verfahrensgebühr (1,6 nach 16.500 EUR) und die Differenzverfahrensgebühr (1,1 nach 16.500 EUR) des Einbeziehungsverfahrens mit den einbezogenen Anspruch zu berechnen, jedoch nur insoweit, als der Anspruch bei einem anderen Gericht rechtshängig ist. (Im Fall bleibt das Zeugnis also bei dieser Berechnung außen vor.) Ein Abgleich nach § 15 III RVG nach dem theoretischen Gesamtgegenstandswert ohne Zeugnis (max. 1,6 aus 33.000 EUR) hat zu erfolgen.
3. Die Differenz aus 1. und 2. wird letztendlich auf die Verfahrensgebühr des einbezogenen Verfahrens angerechnet.
(Beispiel dazu unten).
Zur Terminsgebühr
Sofern im einbezogenen Verfahren kein Termin stattfand, ist dies unproblematisch: 1,2 Terminsgebühr über den gesamten Vergleichsstreitwert. Sofern ein Termin stattgefunden hat im einbezogenen Verfahren, ist wie bei der Verfahrensgebühr vorzugehen: Terminsgebühr für den rechtshängigen Streitwert im Einbeziehungsverfahren, Differenz zur Kappungsgebühr (wenn diese einschlägig ist und nicht die Addition) und diese Differenz abziehen von der Terminsgebühr im Einbeziehungsverfahren.
Zur Einigungsgebühr
Hier gibt es die Gebührennummern 1000 VV RVG (bisher nicht rechtshängiger Streitgegenstand) 1,5;
1003 VV RVG (rechtshängige Streitgegenstände in der I. Instanz) 1,0;
1004 VV RVG (Einigungsgebühr über rechtshängige Streitgegenstände im Berufungs- oder Revisionsverfahren) 1,3
Für unser Beispiel
Einigungsgebühr über die im LAG-Verfahren rechtshängigen Streitgegenstände 1,3
Einigungsgebühr über die Streitgegenstände aus dem Verfahren vor dem Arbeitsgericht Potsdam: 1,0
Einigungsgebühr über den nichtrechtshängigen Streitgegenstand Zeugnis: 1,5
Kappungsgrenze gem. § 15 III RVG (1,5 Gebühr über den Gesamtstreitwert)
Nun unsere kommentierte Rechnung nach Recherche zum oben angegebenen Sachverhalt:
Streitwerte: 16.500 EUR LAG (rechtshängig), 16.500 EUR ArbG Potsdam (rechtshängig), 5.500 EUR nicht rechtshängig beim LAG mitverglichen (Zeugnis)
1,6 VG 3200 nach 16500 1.113,60 EUR
1,1 VG 3201 nach 22000
(SW I. Instanz ArbG P. + n.r. SW II. Instanz) 816,20 EUR
Summe VG 1929,80 EUR
1,6 aus 38.500 EUR = 1.620,80, d. h.
Kappung gem.§ 15 III RVG -309,00 EUR 1620,80
Damit ist aus der Sicht des Berufungsverfahrens alles, also rechts- und nicht rechtshängig, in einem ersten Zugriff an Verfahrensgebühren abgerechnet. Die nichtrechtshängigen Ansprüche sind damit hinsichtlich der Verfahrensgebühr erledigt.
Jetzt muss in einem weiteren Schritt noch hinsichtlich der rechtshängigen Ansprüche weiter geprüft werden. Die Verfahrensgebühr im Einbeziehungsverfahren wurde ja durch Einreichen der Klage verdient. Sie muss berücksichtigt werden, jetzt gilt (s. den Text oben) VV RVG Nr. 3201 letzter Absatz vor (2).Dieser bestimmt, dass anzurechnen ist, d. h., die im Berufungsverfahren verdiente Gesamtgebühr ist mit der Verfahrensgebühr im Berufungsverfahren ohne Einbeziehung zu vergleichen und die Differenz ist von der Verfahrensgebühr im Einbeziehungsverfahren abzuziehen. Konkret: Es wird also zunächst die Verfahrensgebühr aus dem Berufungsverfahren ohne den einbezogenen Anspruch (und ohne den nichtrechtshängigen) errechnet (= 1,6 aus 16.500 EUR: LAG, also 1.113,60 EUR). Dann wird die Verfahrensgebühr inkl. des einbezogenen Verfahrens unter Beachtung des 15 III RVG ermittelt (= 1,6 aus 16.500 und 1,1 aus 16.500 wegen 15 III ergibt das 1.500,80 EUR). Die Differenz zwischen 1.113,60 EUR und 1500,80 EUR wird von der 1,3 Verfahrensgebühr aus dem ArbG-Verfahren abgezogen (also 1,3 von 16500 = 904,80 – 387,20 = 517,60 EUR). Also:
1,6 aus 16500 1.113,60 EUR
1,1 aus 16500 765,60 EUR
Summe 1.879,20 EUR
1,6 aus 33000, d.h. 1.500,80 EUR
Kappung gem. 15 III -387,80 EUR 1.500,80
1,3 VG 3100 nach 16500 (ArbG Potsdam) 904,80 EUR
Davon Abzug in Höhe von 387,20 (= 1.500,80 – 1.113.60) -387,20 EUR 517,60
Die Terminsgebühr wird aus dem gesamten Streitwert genommen.
1,2 TG aus 38500 1.215,60 EUR 1.215,60
Die Einigungsgebühr wird wie gehabt berechnet: rechtshängiger Anspruch I. Instanz (einbezogenes Verfahren) 1,0 gem. 1003 VV RVG, rechtshängiger Anspruch II. Instanz (Einbeziehungsverfahren) 1,3 gem. Nr. 1004 VV RVG und nichtrechtshängiger mitverglichener Anspruch (Zeugnis) in diesem Fall in der II. Instanz (Einbeziehungsverfahren) 1,5 gem. Nr. 1000 VV RVG. Nunmehr muss die Kappung gem. § 15 III geprüft werden. Das heißt, die Summe aus den drei einzelnen Einigungsgebühren wird verglichen mit der höchsten Gebühr (in diesem Fall 1,5) aus dem Gesamtstreitwert (in diesem Fall 38.500,00 EUR). Ist die Summe aus den einzelnen Einigungsgebühren höher als die höchste Einigungsgebühr aus dem Gesamtstreitwert so wird die Differenz von der Summe aus den drei Einzelstreitwerten abgezogen.
Die Berechnung lautet also wie folgt:
1,5 EG aus 5.500 531,00 EUR
1,0 EG aus 16500 696,00 EUR
1,3 EG aus 16500 904,80 EUR
Summe 2.131,80 EUR
1,5 aus 38500, d.h. 1.519,50 EUR
Kappung gem. 15 III RVG -612,30 EUR 1.519,50
7002 PuTP I. Instanz (einbezogenes Verf.) 20,00 EUR 20,00
7002 PuTP II. Instanz (Einbeziehungsverfahren) 20,00 EUR 20,00
Netto 4.793,50
19 % USt 910,76
Brutto 5.704,26
Fazit: Die Termins- und Einigungsgebühren sind einfach zu berechnen. Problematisch wird es bei der Verfahrensgebühr. Dazu – für nicht- bzw. anderweitig rechtshängige Streitgegenstände – bei einem Vergleich in der zweiten Instanz der oben aufgezeigte Zweischritt.
Insgesamt also folgende Rechnung:
1,6 aus 16500 1113,60 EUR
1,1 aus 16500 765,60 EUR
Summe 1879,20 EUR
1,6 aus 33000, d. h. 1500,80 EUR
Kappung gem. 15 III -387,80 EUR 1500,80
1,3 VG 3100 nach 16500 (ArbG Potsdam) 904,80 EUR
Davon Abzug iHv 387,20 (= 1500,80 – 1113.60) -387,20 EUR 517,60
1,2 TG aus 38500 1215,60 EUR 1215,60
1,5 EG aus 5500 531,00 EUR
1,0 EG aus 16500 696,00 EUR
1,3 EG aus 16500 904,80 EUR
Summe 2131,80 EUR
1,5 aus 38500, d. h. 1519,50 EUR
Kappung gem. 15 III RVG -612,30 EUR 1519,50
7002 PuTP I. Instanz (einbezogenes Verf.) 20,00 EUR 20,00
7002 PuTP II. Instanz (Einbeziehungsverfahren) 20,00 EUR 20,00
Netto 4793,50
19 % USt 910,76
Brutto 5704,26
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