Seit 1997 übe ich den Anwaltsberuf aus und bin überwiegend vor Gericht tätig. Dies ermöglicht mir einen Einblick in viele Bereiche des Lebens (von den Erzählungen der Mandanten, über die Besuche in Justizvollzugsanstalten, Verhandlungen mit der Staatsanwaltschaft/Gegnern bzw. vor den verschiedenen Behörden/Gerichten, Ortstermine, Zwangsvollstreckungen mit Gerichtsvollziehern, Abwicklungen von Rechtsanwaltskanzleien, Mediationsgespräche, usw.).
Da hat man im Jurastudium ein bisschen gelernt, wie man das Recht theoretisch anwenden kann, darf im Referendariat ein wenig Praxis schnuppern (also das Recht auf das Leben anwenden) und stellt dann fest, dass man für den Anwaltsberuf nicht wirklich umfassend ausgebildet wurde. Also fängt man an, die praktischen Rechtskenntnisse (u.a. durch Fachanwaltskurse) zu verbessern. Um zu überleben lernt man auch erstmalig, wie man mit dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (also den Rechnungen/Kosten) umgeht, beschäftigt sich wegen des Personals mit dessen Wesen. Es wird einem dabei immer klarer, dass die Rechtskenntnisse wichtig sind, aber nur einen (kleinen) Teil der anwaltlichen Dienstleistung ausmachen. Es sind viele weitere Fertigkeiten nötig, um gut als Anwalt für die Mandanten (und für sich selbst) zu agieren. Professionelle anwaltliche Dienstleistung bedeutet, gut mit anderen zu kommunizieren, überzeugend zu schreiben, sachlich, freundlich und verbindlich aufzutreten und immer unter Beachtung der anderen beteiligten Personen zielführend für den Mandanten zu handeln. Dazu zählen z.B. Kenntnisse aus der Psychologie, das Erlernen der Kunstfertigkeiten wie Verhandeln und eben freundliches, verbindliches Auftreten. Hilfreich ist immer wieder ein Perspektivwechsel, also ein Hineinversetzen in den z.B. Gegner. Neben Informationen ist dieses Sich-Hineinversetzen in ihn oft die einzige Möglichkeit, um so seine Handlungen gedanklich vorwegnehmen zu können. Diese Fertigkeiten sind zunächst (und vor allen Dingen) auch in der Beziehung zum Mandanten gefragt. Ist das Ziel der Beauftragung und die Art und Weise der Zielerreichung wirklich klar? Sind Zweifel/Ängste des Mandanten berücksichtigt/ausgeräumt?
Neben den juristischen Fertigkeiten (Fachanwaltskurse im Arbeits-, Miet- und Wohnungseigentums- sowie Strafrecht und ständigen Fortbildungen) habe ich einen Mediatorenkurs absolviert (die Maßstäbe für Verhandeln und Auftreten wurden dort gelehrt und werden von mir im beruflichen Alltag umgesetzt bzw. ständig erweitert) und mich um das Berufsrecht (zunächst Abwicklung und Vertretung von Anwaltskanzleien, später und bis heute Richter am Anwaltsgericht zu Berlin) gekümmert. Als Anwalt z.B. im Arbeitsrecht vertrete ich sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer und im Strafrecht sowohl Beschuldigte als auch Verletzte. Als Berufsrechtler vertrete ich sowohl Kolleginnen und Kollegen, die disziplinarisch belangt werden, und habe andererseits als Richter über Kolleginnen und Kollegen in Berlin manchmal zu urteilen. Durch meine Tätigkeit im Anwaltshaftungsrecht kenne ich missglückte Falle aus der Mandantensicht sehr gut. Um das Bild (wie machen es andere Rechtskulturen) insoweit abzurunden bin ich in Italien und am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag als Anwalt zugelassen. Also: immer wieder Perspektivwechsel und Kenntnis weiterer Lebensbereiche.
Im Jahre 2018 reizte mich ein berufsbegleitender Masterstudiengang an der Brandenburgisch Technischen Universität Cottbus (BTU). Der Studiengang Forensic Sciences and Engineering (Forensic Sciences and Engineering, Master of Science (M.Sc.) - BTU Cottbus-Senftenberg (b-tu.de) vermittelt durch viele Dozenten (häufig aus der Praxis, mit vielen stehe ich weiter in Verbindung) theoretische und praktische Kenntnisse in der Kriminalistik, in den naturwissenschaftlichen Grundlagen und in weiten Bereichen der Kriminaltechnik nebst Labortätigkeit und -versuchen. Ich habe dann 25 Wochenenden in Cottbus (Freitag bis Sonntag) verbracht. Die Studentengruppe meines Jahrgangs bestand aus insgesamt 10 Leuten im Alter von 20 bis 58 Jahren. Ich war der einzige Geisteswissenschaftler und durfte deshalb über 3 Wochenenden (jeweils freitags bis sonntags von 09:00 bis 18:00 Uhr) mit einem Doktor der Naturwissenschaft einen Nachholkurs in den Grundlagen der Naturwissenschaften erleben. Gute 30 Jahre nach meinem Abitur hatte ich erstmals wieder eine Formelsammlung vor mir und bekam in tagelangem 1:1 Lehrer-Schüler-Verhältnis die Grundlagen vermittelt. Harte und sehr lehrreiche Wochenenden. Auf der Suche nach einem Thema für die Masterarbeit wählte ich „Der Sachverständige im Deutschen Strafverfahren“. Es war nämlich sowohl im Studium als auch in der Praxis deutlich spürbar, dass die Sachverständigen bzw. Studenten, wenn es um Gerichtsprozesse (vorwiegend um Straf- und Zivilverfahren) ging, gleichfalls Verständnisschwierigkeiten hatten, wie ich vorher mit den Grundlagen der Naturwissenschaften. Wenn ich mich also schon an der Schwelle der beiden Berufe bzw. Wissensgebiete aufhalten durfte, was lag dann näher als mit der Masterarbeit Sachverständigen das deutsche Strafverfahren und den Umgang der prozessbeteiligten Juristen mit ihnen sowie die Instrumente, die die Strafprozessordnung im Umgang mit dem Sachverständigen vorsieht, zu erklären und umgekehrt den Juristen das Sachverständigenwesen zu erläutern.
Deshalb dann die veröffentlichte Masterarbeit (siehe die Dokumente unten). Ich wurde immer wieder von Kollegen über das Sachverständigenwesen befragt, was mich dann dazu brachte, das Angebot oben zu offerieren. Der BTU bin ich weiter als Dozent verbunden und es könnte sein, dass der kriminalistische Teil des Studienganges um ein Cold-Case-Modul (also ein erneutes Ermitteln in alten, nicht aufgeklärten Strafrechtsfällen) und/oder eine Wiederaufnahmemodul (erneutes Ermitteln rechtskräftig abgeschlossener Strafrechtsfälle) unter meiner Mitarbeit erweitert werden wird. Meiner Ansicht nach wieder Lebensbereiche für die anwaltliche Dienstleistung, die beherrscht werden sollten, aber immer noch als Fremdkörper angesehen werden.
Daher: Lebenslanges Lernen und Anwenden zum Besten des Mandanten!