Ein tolles, anderes Münchener Triple
Zu drei Büchern von drei in München tätigen Autoren, die Mitte/Ende 2016 erschienen sind und die alle mit dem Strafprozess im weitesten Sinne zu tun haben. Rezension von Rechtsanwalt Thomas Röth aus der Märzausgabe des Berliner Anwaltsblatt.
I. Steffen Ufer: Nicht schuldig
Heyne Verlag, gebunden, 269 Seiten, 19,99 €
Der Bekannte Münchner Strafverteidiger hat im letzten Jahr das oben angegebene Buch veröffentlicht. Es ist im Großen und Ganzen eine fallbezogene Berufsbiographie. Das Buch ist flüssig, klar und einfach geschrieben: So einen Stil würde man sich in Schriftsätzen wünschen. Kollege Ufer hat sich dazu der Mithilfe des Journalisten (und des Polizei- und Justizreporters) Göran Schattauer bedient.
Im Vorwort erwähnt Kollege Ufer, dass er am 01.04.1966 bei dem damals noch unbekannten Kollegen Bossi angefangen hat. Da er in seiner Jugend ein Jahr als Schüler in der USA verbringen durfte, konnte er gut Englisch, und gleich einer der ersten Prozesse drehte sich um einen angeblich Mord durch einen US-Soldaten an einer 18-jährigen Deutschen. Bossi habe ihm gesagt, dass Strafprozess Kampf bedeute, er aber relativ bald gelernt hat, nicht unnötig zu kämpfen, sondern durch Gespräche mit den Verfahrensbeteiligten das bestmögliche Ergebnis für die Mandaten herauszuholen (Seite 10). Er führt auch aus, dass Anwälte lieber in nördlichen Regionen in Deutschland verteidigen, wo es liberaler zugehe. Man sollte nach beendetem Erkenntnisverfahren dem Mandanten verbunden bleiben (was auch viele Geschichten, die Ufer erzählt, beweisen). Die erschütterndste Erfahrung hat er im La-Grand-Prozess in den USA gemacht (Todesstrafe gegen die aus Deutschland stammenden Brüder).
Anschließend behandelt Ufer in 19 Kapiteln einzelne Fälle, bevor das Buch dann mit einem längeren Interview mit Herrn Schattauer endet.
In den einzelnen Fällen geht es unter anderem um den Kokainfall mit Konstantin Wecker, in welchem im Haftprüfungstermin Herr Wecker seine Einlassung in Gedichtform vorgetragen haben soll.
Im zweiten Kapitel geht es um die Hinrichtung der Gebrüder La Grand. Hier schildert Kollege Ufer die letzten juristischen Verfahren, die er noch betreute, bevor vollstreckt wurde. Er erwähnt einige Zahlen und Fakten zur Todesstrafe in den USA und weist daraufhin, dass die Bundesregierung nach der Vollstreckung der Todesstrafe des ersten Bruders erst den Internationalen Gerichtshof in Den Haag anrief, um die Verletzung des Wiener Übereinkommens, wonach die USA den deutschen Staatsbürgern konsularischen Beistand hätte ermöglichen müssen, festzustellen. Auch der zweite La-Grand-Bruder wurde drei Wochen später hingerichtet. Der Internationale Gerichtshof stellte jedoch fest, dass dies gegen das Wiener Übereinkommen verstieß und dass die USA somit rechtswidrig gehandelt habe. Sowohl dieses Kapitel als auch die Ausführungen zum Fall Raoul Wüthrich im Interview am Ende (hier wurde ein 11-Jähriger, Sohn eines schweizerisch-amerikanischen Ehepaars, im US-Bundesstaat Colorado des schweren Inzests und der sexuellen Nötigung beschuldigt) sind erschütternde Textpassagen über den Zustand der US-amerikanischen Justiz (weitere Empfehlungen des Verfassers dieses Artikels zu diesem USA-Justiz-Thema: Bryan Stevenson: Ohne Gnade – Polizeigewalt und Justizwillkür in den USA, 2015, und Reinhard Berkau: Ich gegen Amerika, ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz, 2010).
Weitere Kapitel in Ufers Buch befassen sich mit einem Fall des ärztlichen Kunstfehlers und einer Strafanzeige deswegen (eine der ersten überhaupt im Jahre 1969), mit einem Fall, in welchem Söhne den eigenen tyrannischen Vater umbrachten, einem Fall akuter Beweisnot der Staatsanwaltschaft und trotzdem der Anklageerhebung, einem Fall der Tötung einer Prostituierten (in welchem die Zeitbestimmung des Todes durch die Rechtsmedizin anhand halbverdauter Mandeln im Magen den Schwerpunkt der Anklage bildete und nur durch Gegengutachten entkräftet werden konnte), Kapiteln zu Betrügern, einem längeren Kapitel zum Fall Bartsch, einem Fall der Auslieferung, einem Fall mit problematischer Wiedererkennung, einem Fall der Unterbringungsfall ins KMV, weiteren Fällen der Tötung von Intimpartnern im Affekt sowie einem zum Zeitpunkt des Erscheinens noch laufendem Fall hinsichtlich der Erschießung eines Menschen durch die Polizei.
Alle Fälle sind spannend. Meist wird in den Fallgeschichten auf ein zu lösendes Hauptproblem zugesteuert. Oft spielen auch gesellschaftliche Zeitumstände (die Fälle spielen von den 60er Jahren bis 2014) eine wichtige kolorierende Rolle. Auffällig ist, wie häufig die Wendung eines Falles den von der Verteidigung benannten (Gegen-)Gutachtern zu verdanken ist. Hier nötigt die Geschwindigkeit, mit der Kollege Ufer namhafte Gutachter für die Verteidigung in kurzer Zeit zu gewinnen weiß, Respekt ab.
Insgesamt wird klar, dass Strafverteidigung aktives Handeln bedeutet. Aus vielen geschilderten Fällen wird auch ersichtlich, dass die Staatsanwaltschaft sich häufiger „verrennt“ und es nicht schafft, wieder auf den rechten Weg zurückzufinden, was für den Verteidiger dann wiederrum vermehrte Arbeit bedeutet. Plastisch schildert Kollege Ufer auch in vielen Kapiteln die Überlegungen und seine Herangehensweise an den Fall.
Schlusskadenzend ein Zitat aus dem Buch (Seite 244):
„Was zeichnet einen guten Strafverteidiger aus? Neben großem juristischem Sachverstand sollte er ein gutes Gespür für Menschen haben und sich in deren Lage hineinfühlen können. Er muss wissen, wie man mit Richtern, Staatsanwälten, Gutachtern und Zeugen umgeht. Ein guter Strafverteidiger ist authentisch, unverstellt und durchsetzungsstark. Er darf sich nicht ständig zu emotionalen Ausbrüchen hinreißen lassen, wenn er und vor und allem seine Mandanten angegriffen werden. Ich selbst versuche, vor Gericht nicht wie ein Polterer aufzutreten, sondern gehe eher behutsam, dafür aber sehr bestimmt vor. Ein Strafverteidiger darf sich niemals für seine Fragen und Anträge entschuldigen."
In diesem Sinne viel Spaß und Erkenntnis mit der Lektüre.
II. Nobert Nedopil: Jeder Mensch hat seinen Abgrund
Spurensuche in der Seele von Verbrechern, Goldmann Verlag, gebunden, 318 Seiten, 19,99 €
Letztes Jahr hat auch der forensische Psychiater Prof. Dr. Nobert Nedopil (bis zu seiner Emeritierung jahrzehntelang Leiter der forensischen Psychiatrie an der Psychiatrischen Klinik der Universität München) das oben angegebene Sachbuch veröffentlich.
Das Buch vermittelt ein guten Eindruck darüber, worum es bei der forensischen Psychiatrie wissenschaftlich und praktisch geht. Prof. Nedopil schildert in einfacher Sprache (Fachbegriffe werden sofort im Text erklärt) seine Arbeit als forensischer Psychiater in der Praxis (in der Regel Begutachtung) und gibt Einblicke in die Wissenschaft (und deren Fortschritt). Klar ist, dass dies auf 300 Seiten nur skizzenhaft geschehen kann. Ein dreiseitiges Literaturverzeichnis gibt hier weitere Hinweise. Es gibt kurze Exkurse zu der Geschichte der Psychiatrie und immer wieder kurze Fallgeschichten, um so zu illustrieren, was – auf diesem zum Teil sehr schwammigen Gebiet – praktisch gemeint ist. So gibt er auch – erfrischend – zu, dass es ihm immer noch schwer fällt, zu erklären, was unter „psychisch krank“ zu verstehen sei. Prof. Nedopil weist auch immer wieder daraufhin, dass Unvoreingenommenheit und die Verhinderung von Pauschalurteilen sowie das vorurteilslose Fragen die wichtigsten Grundvoraussetzungen für eine gelingende Exploration sind. Ein weiterer Grundzug dieses Buches ist, dass immer wieder auf die Statistik und die Entwicklung der Psychiatrie hingewiesen wird. Hintergrund ist, dass in den letzten Jahren (wohl auch medial bedingt und hierauf geht Prof. Nedopil später ein) eine Art Kriminalitätsfurcht produziert wurde, die durch Kriminalstatistik überhaupt nicht zu belegen ist, sondern im Gegenteil nicht existieren dürfte.
Zunächst leitet er mit dem Kapitel „Begegnung mit dem Bedrohlichen“ kurz allgemein in die forensische Psychiatrie ein. Das zweite Kapitel wird der Forschung der Täterpersönlichkeit gewidmet, das dritte der Triebkräfte des Verbrechens, das vierte Tätern und Opfern, das fünfte der Realität und ihrer Rekonstruktion, das sechste dem Verbrechen und der Gesellschaft und schlussendlich das letzte siebte Kapitel dem dünnen Eis der Zivilisation.
Im Täterpersönlichkeitskapitel diskutiert Prof. Nedopil die Ursachen für Täterpersönlichkeiten, zeigt verschiedene Menschen und Tätertypen auf und weist hin auf Diskrepanz als Schlüssel zur forensischen Täterdiagnostik. Selbstverständlich werden in diesem Kapitel auch die Begriffe kriminell oder krank, krank oder böse und wiederum statistisch die Gefährlichkeit des Lebens unter Menschen behandelt.
Im Kapitel Triebkräfte des Verbrechens werden von der Kriminologie und insbesondere der Psychiatrie erkannte Kräfte behandelt, wie unter anderem Gier und Neid, Zaghaftigkeit und Angst, Narzissmus, Rache und Wut, Fanatismus sowie Terror und sexuale Delinquenz.
Im nächsten Kapitel führt er näher zu Tätern und Opfern aus, hier werden Beziehungstaten (Partnertötung, Kinder als Opfer) und die Erkenntnisse der Viktimologie (nicht jedes Opfer bleibt Opfer) behandelt.
Im Kapitel „die Realität und ihr Rekonstruktion“ beschäftigt sich der Autor mit den Schwierigkeiten einer Tatsachenfeststellung vor Gericht, also der fragwürdigen Erinnerung, der eigentlichen Begutachtung durch den Psychiater und der Reihenfolge derselben, setzt sich mit dem Unterschied zwischen Strafe und Maßregel, der Realität des Straf- und Maßregelvollzuges (inklusive Zahlen und etwas Rechtsprechung) auseinander. Er gibt immer wieder Hinweise zu seinem Vorgehen und bringt bei Gelegenheit Checklisten sowie Hinweise auf weiterführende Literatur und legt seine Maßstäbe für eine richtige Vorgehensweise dar.
Im vorletzten Kapitel beschäftig sich Prof. Nedopil mit den Medien als Verbrechensverstärker und versucht Verständnis dafür zu wecken, dass forensische Psychiater keine „Buhmänner“ sind, sondern auf gesetzlicher Grundlage und manchmal mit ganz wenigen Tatsachen nur ganz schwer „sichere“ Gutachten (insb. bei Prognosen) erstellen können. Im letzten Kapitel weitet der Autor seine Betrachtungen ins Philosophische aus. Neben den Persönlichkeitsgrundelementen (Gene und Umwelt) wird als weiterer wesentlicher Faktor die Zuschreibung (wie werde ich von anderen als Mensch behandelt?) und ein Hinweis auf die Zivilisationstheorie erwähnt. Prof. Nedopil nennt die Konzepte der Empathie, Selbstbeherrschung, Evolution, Moral/Tabu und Vernunft. Ein Unterkapitel heißt „Verbrechen verstehen heißt sie verhindern“ und darin beschreibt er den mühsamen Kampf um eine neu gegründete, mittlerweile sehr erfolgreiche Institution für die Nachsorge (der Patient wird aus dem KMV entlassen: was nun? / der Gefangene wird aus der Strafhaft entlassen: was nun? Früher: nichts), die in Bayern gegründet werden konnte. Er weist auch daraufhin, dass eben früher nicht alles besser war.
Zusammenfassend: ein sehr anschauliches (auch dank der kurzen Fallgeschichten) Buch zu den vielen Themen der forensischen Psychiatrie. Besonders beeindruckend ist die aufklärerische Stetigkeit des Autors in seinem Fach und mit seinem Fach zum besseren Verständnis des Verbrechens und damit seiner Verhinderung beizutragen.
III. Alexander Horn: Die Logik der Tat
Knaur Verlag, Taschenbuch, 254 Seiten, 9,99 €
Als letztes Buch im Münchner Triple nun das Sachbuch des Leiters der Dienststelle für operative Fallanalyse (OFA) der bayerischen Polizei. Mitverfasst hat auch der Redakteur im Ressort Innenpolitik der süddeutschen Zeitung, Herr Joachim Keppner. Auf dieses Buch ist der Verfasser des Artikels über das zu 2. rezensierte Buch gestoßen. Prof. Nedopil erwähnt, dass er mit Herrn Horn in gemeinsamen Gesprächen und Seminaren die Technik der psychiatrischen Exploration bei polizeilichen Vernehmungen umsetzen half.
Der Autor ist seit 1998 Leiter der Dienststelle der OFA und hat diese mitaufgebaut. Das ganze Buch über ist sein Enthusiasmus zu spüren, mit dem er die operative Fallanalyse in polizeiliche Arbeit intrigieren will. Gleichzeitig ist auch seine Vorsicht zu spüren. Denn leicht kann man im personellen, institutionellen Geflecht als von außen kommender Berater anecken.
Das Buch ist einfach und klar geschrieben und gibt einen umfassenden Einblick in das Thema operative Fallanalyse. Dazu gliedert der Autor sein Buch in 12 Kapitel sowie ein Vor- und Nachwort. Das Buch wird dann noch abgerundet durch eine dreiseitige kurz kommentierte Literaturliste. Die Kapitel handeln von der Aufgabe des Beraters über „was ist eine Fallanalyse und wie funktioniert sie?“, „wann kommen Berater zum Einsatz?“, über vergleichende Fallanalyse und über Sammeln, Rekonstruieren, Bewerten und über gefährliche Fehlerquellen, über kompetente Beratung bis hin zum Umgang mit Frustrationen und zum Umgang mit der Belastung. Es ist dem Autor anzumerken, dass er an einem Ausgleich zwischen Praxis und Wissenschaft interessiert ist. Immer wieder werden wissenschaftliche Erkenntnisse referiert und ihre Umsetzung in Beratungen gezeigt. Ebenso werden der Geschichte der Fallanalyse und der Ausbildung zum Fallanalytiker ein paar Zeilen gewidmet. Stattgehabte Fälle veranschaulichen die theoretischen Ausführungen.
Die operative Fallanalyse (vulgo wohl oft auch als Profiling betitelt) ist ein kriminalistisches Werkzeug, welches bei herausragenden Fällen auf der Grundlage von objektiven Daten das Fallverständnis vertieft, mit dem Ziel ermittlungsunterstützende Hinweise zu erarbeiten (Seite 28). Die OFA in München führt Fallanalysen durch, führt die Datenbank, die Sexual- und Tötungsdelikte verknüpfen hilft, arbeitet mit den Einrichtungen des Straf- und Maßregelvollzuges zusammen, betreibt eigene Forschungsprojekte und die haftentlassene Auskunftsdatei.
In dem Buch wird ausschließlich zur Fallanalyse ausgeführt. Die OFA hat eine beratende Tätigkeit hat. Sie wird in der Regel bei „schwierigen“ Fällen (Sexualdelikte, bei denen der Täter nicht im Umkreis des Opfers zu finden ist) hinzugezogen und soll den ermittelnden Beamten beratend zur Seite stehen, in der Regel durch genaue Analyse der Fakten und einer Tathergangsanalyse sowie dann schlussendlich der Erstellung eines Täterprofiles. Bei der Fallanalyse kommt es vor allen Dingen darauf an, drei wesentliche Fragen zu beantworten: Was ist passiert? Warum ist es passiert? Wer ist dafür verantwortlich? Material geben Täter, Opfer und die Tatsituation(en) sowie weitere Informationen über umfangreiche Dateien. Die Tathergangsanalyse soll gedanklich das konkrete Verbrechen rekonstruieren. Die Tat wird in einzelne Sequenzen aufgeteilt: z.B. die Annäherung an das Opfer, den Angriff, die Kontrollgewinnung, die Phase der sexuellen Handlungen, die Tötung des Opfer sowie das anschließende Verhalten des Täters. Jede dieser Phasen muss präzise rekonstruiert werden, nur so ist der Überblick über das Verhalten des Täters möglich. Die OFA interpretiert Verhalten und Befunde vom Tatort und an der Leiche, um am Ende der wahrscheinlichste Hypothese zum Tatablauf zu erstellen. Der Kern der Arbeit ist eine Annäherung an die Wirklichkeit. Bei dem Täterprofil werden die Merkmale Alter, Geographie und Vorerkenntnisse als wichtig angesehen.
Aus den vielen Beschreibungen wird auch klar, dass es oft schwierig ist, allumfassend gedeihlich zusammenarbeiten zu können; Sokos stehen ja unter einem massiven Druck, gerade wenn es um einen Serienmörder geht, der noch weitere Taten begehen könnte. Dann jemanden zu goutieren, der vor versammelter Mannschaft aufgrund einer Fallanalyse mitteilt, dass man in die falsche Richtung ermittelt, dürfte schwer zu verdauen sein.
Da die OFA mit der Fallanalyse auf einem Querschnittsgebiet tätig ist, müssen auch mehrere Hilfswissenschaften beherrscht werden. Neben der Kriminalistik und Kriminologie kommen hier insbesondere die Psychiatrie und die Psychologie in Betracht. Immer wieder betont der Autor den Grundsatz des Teamworks. Es gibt einzelne Kapitel in denen gerade das Hypothesenbilden und Sich-im-Zirkelschluss-befinden drastisch geschildert werden. So bringt der Autor drei interessante Beispiele für fehlerhafte Großermittlungen (einen Fall aus Großbritannien: der „Yorkshire-Ripper“, einen aus Canada: „Paul Bernardo und Karla Homolka“ und aus unseren Breiten die Einschätzung der OFA zu den „NSU-Morden“). Es ist dem Autor ein Anliegen, sein Tätigkeitsgebiet nicht als Magie darzustellen, sondern als ein aus Erfahrungswissen und Fachkompetenz entwickelte Möglichkeit, strukturiert Hilfestellungen bei Ermittlungen zu geben. Wohltuend für Strafverteidiger sind auch seine Ausführungen zu Vernehmungen im Maskenmann-Ermittlungsverfahren. Hier zeigt er, dass ausschließlich das Verständnis des Vernehmenden der entscheidende Schlüssel für ein Geständnis sein kann (und nicht das übliche televisionäre Anherrschen).
Neben den Fällen und seinem Tätigkeitsfeld wird immer wieder auf den schwierigen Prozess des richtigen Hypothesenbildens (und die Gefahren der Fehlbildung) hingewiesen. Häufig zitierte Bücher sind die von dem Psychologen Dietrich Dörner „Die Logik des Misslingens – Strategisches Denken in komplexen Situationen“ und das tolle Buch von Daniel Kahnemann „Schnelles Denken, langsames Denken“. Der Autor geht auch auf Frustrationen während der Arbeit ein (insbesondere bei alten Fällen, die nochmal durchgesehen werden). Am Ende gibt und geht er neun Schritte zur besseren Lösung von komplexen Problemen und fasst seine gut gelungene Prämisse, unter der er dieses Buch geschrieben hat, nochmals zusammen: Interesse wecken für das, was sich hinter „Profilling“ verbirgt, nämlich in erster Linie ein methodisches Aufarbeiten von Informationen, die Rekonstruktion komplexer Handlungsabläufe und die Interpretation von Verhalten. Der Mehrwert für die ermittelnde Polizeiarbeit ist jedoch erst dann gegeben, wenn daraus ein Ermittlungsansatz gewonnen werden kann.
Der Beruf des Fallanalytikers wird auf den Boden der Tatsachen zurückgeführt und realistisch und detailliert beschrieben. Die kurz kommentierte Literaturliste macht Lust auf mehr. Insgesamt ein sehr gutes Buch, um einen guten Einblick in dieses Feld der Polizeiarbeit, welches auch strafprozessual an Bedeutung gewinnt, zu bekommen.
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