Patrick Burow
Justiz am Abgrund. Ein Richter klagt an
Verlag LangenMüller, 1. Auflage 2018, 208 Seiten, Hardcover, EUR 22, ISBN 978-3-7844-3436-0
Im Jahre 2018 hat Dr. jur. Patrick Burow das Buch mit dem oben angegebenen Titel veröffentlicht. Der Autor ist Richter am Amtsgericht in Strafsachen und seit 22 Jahren im Justizdienst in Sachsen-Anhalt (derzeit Dessau) tätig. Der Autor ist darüber hinaus für mehrere Krimis, ein Sachbuch über absurde Ausreden vor Gericht und eines über Justizirrtümer bekannt. Sein neues Buch versteht Herr Burow als Weckruf (insbesondere an die Landesjustizminister), um „den großen leckgeschlagenen Tanker Justiz wieder flott zu bekommen“ (Seite 177).
Das Buch setzt sich von dem seines Kollegen (Jens Gnisa: Das Ende der Gerechtigkeit, erschienen 2017, siehe die Rezension im Berliner Anwaltsblatt 2017, S. 858–860) wohltuend ab, weil es sachlich bleibt, mit Tatsachen arbeitet und reale Abhilfemöglichkeiten aufzeigt. Es ist flüssig geschrieben, also gut lesbar.
In einem ersten Kapitel nach der Einleitung beschreibt Burow „die Justiz am Limit“, moniert im zweiten Kapitel zu „milde Strafen durch die Kuscheljustiz“, kritisiert im dritten Kapitel Härte nur noch bei Bußgeldern, schildert im vierten Kapitel die „Folgen der Überlastung“, im fünften Kapitel „wo der Rechtsstaat auch nicht mehr funktioniert“ und wagt im siebten Kapitel eine Ausblick in die „Zukunft der Justiz“, in dem er Vorschläge für die Rettung des „Tankers Justiz“ unterbreitet.
Ursachen für den drohenden Kollaps der Justiz sieht er in dem großen Personalmangel und dem in der Regel völlig an der Realität vorbeigehenden Personalbedarfsberechnungssystem (Pebb§y), das vom Eingang der Akte bei Gericht bis zum Urteil bei Gericht feste, minutengenaue Bearbeitungszeiten vorgibt.
Der Autor setzt sich dann mit verschiedenen Verfahren auseinander, die den Justizalltag überlasten (Bußgeldsachen, Strafsachen, Familiensachen sowie Zivil- und Betreuungssachen). Er weist auf die zum Teil verfassungswidrig niedrige Besoldung von Richtern hin. Weitere Gründe findet er in der „Verwahrlosung“ der Gerichtsgebäude, der mangelnden Sicherheit bei Gericht, dem Personalmangel im nachgeordneten Dienst, der Nichtvergütung von Zusatzaufgaben und fehlenden Sachmitteln. Er stellt fest, dass die Justiz ein „ungeliebtes Stiefkind“ der Politik sei, was sich in deren starker Unterfinanzierung ausdrücke, und nennt Gründe für die Geringschätzung.
Im zweiten Kapitel setzt er sich mit der Frage auseinander, ob härtere Strafen etwas brächten (eher nein), rügt den Gesetzgeber für kosmetische Maßnahmen (Verschärfung des Deliktes Wohnungseinbrüche, ohne dass auch über die Länder mehr Personal dafür zur Verfügung gestellt wird). Er weist aber auch darauf hin, dass eine „lasche“ Justiz nicht zum Glauben der Bürger in den Rechtsstaat beitragen wird.
Im dritten Kapitel setzt er sich mit den ausufernden Bußgeldverfahren auseinander. Ein Unterkapitel gilt auch dem Problem der Abzocke der Bürger durch Bußgelder via Staat, wobei man oft den Eindruck hat, dass das Bußgeld nicht mehr der Verkehrserziehung, sondern den Einnahmen für die Länderhaushalte dient. Burow setzt sich im vierten Kapitel mit den Folgen der Überlastung auseinander (zu lange Gerichtsverfahren, die Staatsanwaltschaft als Einstellungsbehörde, dem Deal und Fehlurteilen).
Als weitere Punkte erwähnt er die Kapitulation bei Alltagskriminalität und die Überforderung mit Wirtschaftsstrafrecht. Daraufhin setzt er sich im nächsten Kapitel mit einer Zweiklassenjustiz, den Strafen bei jungen Intensivtätern, der Flut neuer Straftatbestände, Gefängnisausbrüchen, der Überforderung durch die Flüchtlingskrise, dem dadurch bedingten Abbau an Gerechtigkeit im Verfahren und dem Autoritäts- und Vertrauensverlust der Justiz auseinander. Der Autor verweist dabei auf eine Rede des damaligen Bundesjustizministers Maas, der sagte, dass die Stärke der Justiz auf vier Säulen beruhe, nämlich: starkes Personal, effiziente Strukturen, Vertrauen der Öffentlichkeit und modernes Recht.
Im Schlusskapitel skizziert Burow toposartig einige Herausforderungen, wie Terrorismusverfahren, Cyberkriminalität, E-Justice und die Pensionierungswelle. Am Ende hält er ein Schlussplädoyer, wie die Justiz gerettet werden kann und fordert:
- Schluss mit der Rotstiftpolitik,
- mehr Personal,
- bessere Sachausstattung,
- Gesetzesvollzug statt Paragraphenrausch,
- Entlastung der Justiz von Bagatellen,
- Konzentration zunächst auf das Premiumprodukt Strafprozess nebst Flexibilisierung der Geschäftsverteilungspläne,
- schnellere Strafprozesse, Forschung über Justizirrtümer, mehr Fachpersonal für nichtjuristische Bereiche und die Ausschöpfung des Strafrahmens.
Das Buch enthält viele Informationen. Insbesondere gefallen hat mir die Auseinandersetzung mit „Pebb§y“ und immer wieder die Fokussierung darauf, was ein Rechtsstaat eigentlich praktisch leisten sollte. Dass der Strafrahmen öfter mal nach oben ausgeschöpft werden sollte und der Autor immer wieder den Autoritätsverlust der Richter bedauert, trübte ein klein wenig das Bild, ändert jedoch nichts daran, dass dieses Buch den Zustand der Justiz gut beschreibt und realistische Vorschläge für die Zukunft der Justiz unterbreitet.
Fazit: Wer an dem Thema interessiert ist, sollte es lesen.
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