Prozessrisikoanalyse. Erfolgsaussichten vor Gericht bestimmen
Jörg Risse / Matthias Morawietz
Verlag C. H. BECK (in Gemeinschaft mit Manz/Wien und Helbing & Lichtenhahn/Basel), 1. Auflage 2017, 237 Seiten, 45 Euro, Hardcover, SBN 978-3-406-71480-1
In diesem einfach und verständlich geschriebenen Buch führen Kollege Risse und Kollege Morawietz im ersten Teil über 119 Seiten in die Techniken der Prozessrisikoanalyse (nebst Streuungs- und Sensitivitätsanalysen) ein; im zweiten Teil (Seite 121–230) stellen sie praktisch Fälle vor.
Diese aus der Wirtschaft bekannte Methode versucht eine Antwort zu geben auf die Frage, wie wahrscheinlich ein Sieg oder eine Niederlage z. B. für ein etwaiges Gerichtsverfahren sein kann.
Dazu werden im ersten Schritt Entscheidungsknoten ermittelt, d. h., der Sachverhalt wird in voraussichtlich tatsächlich und rechtlich streitige Punkte gegliedert. Dies ist das Feld insbesondere der Juristen beim Subsumieren und diese Entscheidungsknoten (= Punkte) werden dann durchnummeriert und in einem Entscheidungsbaum visualisiert und strukturiert (zweiter Schritt, im Buch häufig vorhanden).
Dieser Entscheidungsbaum sollte nicht zu unübersichtlich sein und pragmatisch/logisch strukturiert sein. Danach werden für die verschiedenen Möglichkeiten für Eintrittswahrscheinlichkeiten ermittelt (unter Umständen unter der Zuziehung von Sachverständigen/Experten) und zum Schluss wird der Gesamterwartungswert berechnet.
Sie führen dann noch aus zur Streuungs- und Sensitivitätsanalyse (weitere Handreichungen, um zu einer wirtschaftlich begründeten Entscheidung zu kommen). Das Ganze wird anhand eines sehr schönen Beispielfalles exemplifiziert und die Grundlagen der Mathematik, insbesondere der Stochastik, werden (meiner Ansicht nach etwas zu kurz) vorgestellt.
Die Fallstudien befassen sich mit verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten der Prozessrisikoanalyse (von Einschätzung gerichtlicher Erfolgschancen bis Mediationsverfahren). Die Autoren weisen auch auf die mögliche Ungeeignetheit in manchen Fällen der Prozessrisikoanalyse hin bzw. auf das, was sie nicht berücksichtigt (insbesondere nicht-monetäre Punkte bei einer Streitbeilegung). All das wird mit Checklisten abgerundet.
Für mich war dieses Buch sehr lehrreich, um eine Handreichung dafür zu bekommen, wie man sich bei der Frage „Mit welchem Erfolg könnte ich denn im Falle eines Prozesses rechnen?“ nicht verzettelt und in einzelnen Punkten verliert, sondern dem Mandanten, wenn er das will, mittels eines visualisierten Entscheidungsbaumes Überblick geben könnte. Insbesondere die Umformung von Einzelergebnissen in Wahrscheinlichkeiten und Geldwerte ist manchmal im Vergleich zur Baucheinschätzung ernüchternd. Der weitere Vorteil neben wesentlich mehr Transparenz ist auch, dass Sie mit Zahlen und nicht mit „Juristendeutsch“ argumentieren, was dem Mandanten sicherlich hilft.
Das Verfahren eignet sich auch hervorragend, um Konfliktparteien via Mediation eine Diskussionsentscheidungsgrundlage zu geben. In geeigneten Fällen lassen sich nämlich je nach Partei die Positionsdifferenz und damit der Vergleichsraum ziemlich genau bestimmen. Es kann sogar sein, dass die Analyse dazu führt, die Kosten, die für die Durchsetzung einzusetzen sind (also unsere Gebühren!), als Investitionen zu sehen.
Dieses Instrument kann also in geeigneten Fällen nicht nur die Mandantenzufriedenheit steigern, sondern dürfte auch ein geeignetes Mittel sein, um Rechtschutzversicherern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Diese versuchen immer wieder, Kollegen in Regress zu nehmen. Zunächst haben sie Deckungszusage erteilt, nach dem verlorenen Prozess wird nun der Anwalt in Regress genommen mit dem Argument „fehlende Aufklärung über das Prozessrisiko“ (siehe hierzu z. B. RA Weinbeer in Anwaltsblatt 2020, 26–33).
Prozessrisikoanalyse – ein tolles Instrument! Ich freue mich schon auf die zukünftigen Konfliktbeilegungen mit den Kolleginnen und Kollegen durch visualisierte Entscheidungsbäume!!
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