Entziehung des Wohnungseigentums
Der schwerste Eingriff in das Wohneigentum: Grundlagen und Voraussetzungen
Die Entziehung des Wohnungseigentums stellt den schwersten aller möglichen Eingriffe in das Eigentum dar. Diese Maßnahme ist im Wohnungseigentumsgesetz in § 17 WEG verankert und ermöglicht es einer Wohnungseigentümergemeinschaft, einen "Störenfried" unter bestimmten Umständen zum Verkauf seines Eigentums zu zwingen.
Voraussetzung ist, dass sich ein Wohnungseigentümer einer so schweren Pflichtverletzung gegenüber den anderen Wohnungseigentümern schuldig gemacht hat, dass diesen die Fortsetzung der Gemeinschaft mit ihm nicht mehr zugemutet werden kann.
Wer als genervter Eigentümer meint, einen störenden Miteigentümer einfach aus der WEG entfernen zu können, liegt jedoch falsch.
Es handelt sich um einen langen, beschwerlichen Weg mit hohen rechtlichen Hürden, der sorgfältig vorbereitet und durchgeführt werden muss.
Schwerwiegende Gründe für die Entziehung des Wohnungseigentums
Das Gesetz definiert nicht abschließend, welche Pflichtverletzungen einen Entzug des Eigentums rechtfertigen können. Die Störung des Friedens innerhalb der WEG und die Pflichtverletzung müssen nicht nur schwer, sondern auch nachhaltig sein.
Folgende Gründe können zur Entziehung führen:
- Psychische oder physische Bedrohung von Miteigentümern
- Dauerhafte Misstrauensbekundungen gegen Miteigentümer und Verwalter
- Mutwillige Zerstörung des Gemeinschaftseigentums
- Schwerwiegende und eigenmächtige Eingriffe in die Bausubstanz
- Verwahrlosung des Miteigentums
- Unzumutbare Geruchs- und Lärmbelästigung
- Gewerbliche Umnutzung in unzumutbarem Maße (Bordell, Club etc.)
- Grundlose und andauernde Widersprüche gegen Beschlüsse oder Maßnahmen des Verwalters
- Erhebliche Nachbarschaftsstreitigkeiten
Bei Hausgeldrückständen gilt: Früher regelte das WEG explizit, dass Zahlungsverzug ab einer bestimmten Höhe (3% des Einheitswertes) einen Entziehungsgrund darstellt.
In der aktuellen Fassung des § 17 WEG nach der WEG-Reform ist dies nicht mehr ausdrücklich als Regelbeispiel genannt. Stattdessen bietet sich der einfachere Weg über einen Zahlungstitel und die direkte Zwangsvollstreckung an (mehr hierzu finden Sie in unserem Artikel Hausgeldinkasso in der WEG).
Die Abmahnung als wesentlicher erster Schritt
Vor einem Entziehungsbeschluss muss in der Regel eine Abmahnung erfolgen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat dies in mehreren Entscheidungen klargestellt.
Die Abmahnung soll dem Wohnungseigentümer ein bestimmtes, als Entziehungsgrund beanstandetes Fehlverhalten vor Augen führen, verbunden mit der Aufforderung, dieses Verhalten zur Vermeidung eines Entziehungsbeschlusses aufzugeben oder zu ändern.
Wichtige Anforderungen an die Abmahnung:
✔️ Sie muss hinreichend bestimmt sein und ein konkretes Verhalten aufzeigen, das einen Entziehungsbeschluss rechtfertigen kann
✔️ Sie sollte aus Beweisgründen schriftlich erfolgen
✔️ Es muss erkennbar sein, dass bei Fortsetzung des Verhaltens eine Entziehung des Wohnungseigentums droht
✔️ Sie muss dem betroffenen Eigentümer die Konsequenzen deutlich vor Augen führen
Die Abmahnung kann formfrei erfolgen. Nach der WEG-Reform ist jedoch strittig, wer die Abmahnung aussprechen darf. Während vor der Reform auch einzelne Wohnungseigentümer eine Abmahnung aussprechen konnten, ist nach neuer Rechtslage grundsätzlich die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer als Inhaberin des Entziehungsanspruchs zuständig, vertreten durch den Verwalter.
In einer verwalterlosen Gemeinschaft kann die Abmahnung entweder durch Beschluss oder von allen Eigentümern (ausgenommen den Störenfried) ausgesprochen werden.
Auf die Abmahnung kann nur ausnahmsweise verzichtet werden, etwa wenn:
- sie der Gemeinschaft unzumutbar ist
- sie offenkundig keine Aussicht auf Erfolg bietet
- das Verhalten so schwerwiegend ist, dass eine sofortige Reaktion erforderlich ist.
Der Entziehungsbeschluss der Eigentümerversammlung
Nach erfolgloser Abmahnung kann die Eigentümergemeinschaft in einer Eigentümerversammlung einen Entziehungsbeschluss fassen. Dieser Beschluss ist Prozessvoraussetzung für die spätere Entziehungsklage.
Für den Entziehungsbeschluss gilt:
- Er muss das an den betroffenen Wohnungseigentümer gerichtete Verlangen enthalten, sein Wohnungseigentum zu veräußern.
- Die Einladung zur Eigentümerversammlung muss deutlich erkennen lassen, dass über ein Entziehungsverlangen beschlossen werden soll.
- Der störende Wohnungseigentümer ist nach § 25 Abs. 4 WEG nicht stimmberechtigt, darf aber an der Versammlung teilnehmen (mehr zu Stimmrechten und Stimmrechtsausschlüssen finden Sie in unserem Artikel Hausgeld in der WEG).
- Nach der WEG-Reform genügt für den Beschluss die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen.
Der Entziehungsbeschluss kann wie jeder andere Beschluss der Wohnungseigentümer vor Gericht angefochten werden. Bei der Anfechtung werden jedoch nur die formellen Voraussetzungen der Beschlussfassung geprüft.
Die materiellen Gründe werden erst im Rahmen der Entziehungsklage überprüft. Mit anderen Worten: Das Gericht setzt sich nicht damit auseinander, ob die WEG zu Recht den Verkauf des Wohnungseigentums fordert.
Die Entziehungsklage: Der Gang zu Gericht
Kommt der störende Wohnungseigentümer dem Entziehungsbeschluss nicht nach, muss die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer Entziehungsklage erheben. Die Klage ist von der Gemeinschaft durch den Verwalter zu erheben, § 9b WEG.
Zuständig ist – unabhängig vom Streitwert – das Amtsgericht, in dessen Bezirk das Grundstück liegt.
Der Klageantrag lautet typischerweise:
"Der Beklagte wird verurteilt, sein Wohnungseigentum ..., bestehend aus ... Miteigentumsanteil, verbunden mit dem Sondereigentum an der Wohnung ..., eingetragen im Grundbuch ..., zu veräußern."
Im Rahmen der Entziehungsklage wird erstmals die materielle Richtigkeit der Entziehungsgründe geprüft. Hier muss die WEG nachweisen, dass tatsächlich ein Entziehungsgrund vorliegt und die formellen Anforderungen eingehalten wurden.
Verteidigungsmöglichkeiten des betroffenen Eigentümers:
§ Bestreiten der Entziehungsgründe
§ Nachweis der Beseitigung des Entziehungsgrundes
§ Bei Zahlungsrückständen: Zahlung der ausstehenden Beträge einschließlich der Verfahrenskosten
§ Freiwillige Veräußerung des Wohnungseigentums
Vollstreckung des Entziehungsurteils: Die Zwangsversteigerung
Ist die Klage zulässig und begründet, ergeht ein Veräußerungsurteil. Das Urteil gibt der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer keinen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der Wohnung, sondern ist lediglich die Grundlage für die Zwangsversteigerung.
Die Vollstreckung erfolgt nach § 17 Abs. 4 WEG entsprechend den §§ 1 - 161 ZVG und nicht nach den Vorschriften der Teilungsversteigerung.
Wichtige Aspekte der Vollstreckung:
- Der störende Eigentümer ist als Bieter ausgeschlossen
- Für den Ersteigerer ist der Zuschlagsbeschluss ein Räumungstitel
- Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer kann die Wohnung auch selbst ersteigern
- Die Belastungen des Grundstücks sind im geringsten Gebot zu berücksichtigen und vom Ersteher zu übernehmen
Besondere Regelung: Der Ersteher darf dem früheren Wohnungseigentümer den Besitz nicht wieder einräumen, wenn dieser seine Pflichten gröblich verletzt hat. Tut er dies dennoch, verletzt er selbst die Pflichten nach § 14 WEG und kann seinerseits zum Ziel einer Entziehungsklage werden.
Praktische Tipps für Wohnungseigentümer und Verwalter
Der Weg der Eigentumsentziehung ist langwierig und rechtlich anspruchsvoll.
Folgende Empfehlungen sollten beachtet werden:
- Frühzeitige und vollständige Dokumentation von Pflichtverletzungen
- Einholung rechtlicher Beratung durch einen Fachanwalt für WEG-Recht
- Korrekte Formulierung der Abmahnung mit deutlicher Androhung der Entziehungsfolgen
- Sorgfältige Vorbereitung der Eigentümerversammlung, insbesondere der Tagesordnung
- Sammlung einschlägiger Beweise (Dokumente, Zeugenaussagen etc.)
- Bei Hausgeldrückständen: Prüfung des einfacheren Weges über die Zwangsvollstreckung aus einem Zahlungstitel
❗Wichtig: Die Kosten für die Durchführung eines Entziehungsverfahrens sind Verwaltungskosten und werden von allen Eigentümern getragen.
Nach einem erfolgreichen Verfahren können diese Kosten allerdings vom störenden Eigentümer zurückgefordert werden.
Alternative: Zwangsversteigerung bei Hausgeldrückständen
Wenn der Entziehungsgrund rückständige Zahlungen ist, bietet sich ein einfacherer Weg an:
Der Weg über die Eigentumsentziehung ist umständlich und langwierig. Es ist unter Umständen einfacher, als Gemeinschaft einen Titel über die Hausgeldrückstände zu erwirken und aus diesem Titel dann die Zwangsversteigerung der Wohnung zu betreiben (mehr zu diesem Verfahren in unserem Artikel. Hausgeldinkasso in der WEG).
Dies hat den Vorteil, dass das aufwändige Entziehungsverfahren mit Abmahnung, Entziehungsbeschluss und Entziehungsklage entfällt.
Allerdings ist zu beachten, dass nach einer Versteigerung aufgrund von Hausgeldrückständen der ehemalige Eigentümer möglicherweise von einem Wohlgesonnenen Ersteher wieder als Mieter eingesetzt werden könnte – anders als nach einer Versteigerung aufgrund eines Entziehungsurteils.
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