Die virtuelle Eigentümerversammlung in der Wohnungseigentümergemeinschaft
Liebert & Röth: Rechtsanwälte für WEG-Recht Berlin & bundesweit
Am 17.10.2024 ist die Reform des WEG-Rechts 2024 (genauer: Gesetz zur Zulassung virtueller Eigentümerversammlungen, zur Erleichterung des Einsatzes von Steckersolargeräten und zur Übertragbarkeit beschränkter persönlicher Dienstbarkeiten für Erneuerbare-Energien-Anlagen) in Kraft getreten.
Damit können ab sofort rein virtuelle Eigentümerversammlungen nach § 23 WEG durch die Gemeinschaft beschlossen werden!
Überblick
Mit der Reform soll nun die Möglichkeit bestehen, Eigentümerversammlungen gänzlich ohne physische Präsenz durchzuführen. Damit ist in Zukunft der Begriff der virtuellen Eigentümerversammlung auch tatsächlich gerechtfertigt.
- Die Wohnungseigentümer können die Durchführung von Online-Versammlungen für maximal 3 Jahre beschließen.
- Die Beschlussfassung, mit der Online-Versammlungen ermöglicht werden, setzt eine Mehrheit von drei Vierteln (75%) der abgegebenen Stimmen voraus.
- Wohnungseigentümergemeinschaften, die bis Ende 2027 einen Beschluss zur virtuellen Versammlung fassen, müssen bis einschließlich 2028 mindestens einmal jährlich eine Präsenzversammlung abhalten; hierauf können die Eigentümer aber durch einstimmigen Beschluss verzichten.
- Damit ermöglicht die aktuelle Reform im Vergleich zur großen Reform 2020 (WEMoG) nochmals mehr Flexibilität bei der Durchführung von Eigentümerversammlungen, insbesondere durch die Zulassung virtueller Formate.
- Die neuen Regelungen bieten den Wohnungseigentümern und WEG-Verwaltungen mehr Optionen, um auf die Bedürfnisse der Gemeinschaft zu reagieren.
Regelungen im Detail
Die Neuregelungen sehen hinsichtlich der virtuellen Eigentümerversammlung folgendes vor folgendes vor (die Neuregelegung zu den Steckersolaranlagen finden Sie im Artikel Balkonkraftwerke und Wohnungseigentumsrecht).
Qualifizierter Beschluss zur virtuellen Eigentümerversammlung
Seit der WEG-Reform 2020 (WEMoG) können die Wohnungseigentümer einzelnen Eigentümern zwar per Mehrheitsbeschluss ermöglichen, online an (Präsenz-)Eigentümerversammlungen teilzunehmen.
Die Möglichkeit, Eigentümerversammlungen vollständig online abzuhalten (digitale oder virtuelle Eigentümerversammlung), bot das Gesetz bisher aber nicht.
Dies hat sich nun geändert.
Die beschlossene Gesetzesänderung führt für Wohnungseigentümer und Verwalter eine zusätzliche Möglichkeit ein. Die bisher schon nach § 23 Abs. 1 Satz 2 WEG bestehende Möglichkeit, die Online-Teilnahme an Präsenzversammlungen zu ermöglichen ("hybride Wohnungseigentümerversammlungen"), bleiben unverändert bestehen.
Die Wohnungseigentümer haben künftig die Wahl, Eigentümerversammlungen in Präsenz, hybrid oder rein virtuell durchzuführen.
Mit dem neu eingeführten § 23 Abs. 1a WEG erhalten die Wohnungseigentümer die Möglichkeit, die Durchführung von reinen Online-Versammlungen für maximal drei Jahre zu beschließen.
Qualifizierte Mehrheit notwendig
Die Beschlussfassung, mit der Online-Versammlungen ermöglicht werden, setzt eine Mehrheit von drei Vierteln (75%) der abgegebenen Stimmen voraus. Es kommt nur auf die abgegebenen Stimmen an. Ein Quorum wird für die Versammlung nicht gefordert.
Die Reform 2024 macht im Gegensatz zu früheren Regelungen qualifizierter Mehrheiten keine Vorgaben zur Stimmkraft. Sofern die Gemeinschaftsordnung eine von § 25 Abs. 2 S. 1 WEG (Abstimmung nach Kopfprinzip) abweichende Verteilung des Abstimmungsprozesses (Objekt- oder Wertprinzip, vgl. unser Artikel Stimmrechte in der Wohnungseigentümergemeinschaft) vorsieht, gilt diese auch für die Entscheidung über die Einführung von Online-Versammlungen.
Befristung des Beschlusses auf 3 Jahre
Die Befristung auf drei Jahre verfolgt nach der Gesetzesbegründung mehrere Zwecke.
Die Käuferinnen und Käufer von Wohnungen nicht für unbestimmte Zeit an eine vor dem Erwerb erfolgte Beschlussfassung gebunden werden. Die Befristung soll auch der Tatsache Rechnung tragen, dass sich die Haltung der Wohnungseigentümer zu virtuellen Versammlungen ändern könne.
Der neue § 23 Abs. 1a WEG im Wortlaut:
"Die Wohnungseigentümer können mit mindestens drei Vierteln der abgegebenen Stimmen beschließen, dass die Versammlung innerhalb eines Zeitraums von längstens drei Jahren ab Beschlussfassung ohne physische Präsenz der Wohnungseigentümer und des Verwalters an einem Versammlungsort stattfindet oder stattfinden kann (virtuelle Wohnungseigentümerversammlung). Die virtuelle Wohnungseigentümerversammlung muss hinsichtlich der Teilnahme und Rechteausübung mit einer Präsenzversammlung vergleichbar sein."
Präsenzversammlung bleibt bis 2028 zum Teil Pflicht
Ganz ohne Präsenzversammlung kommen Wohnungseigentümergemeinschaften zunächst allerdings nicht aus.
WEGs, die bis Ende 2027 einen Beschluss zur virtuellen Versammlung fassen, müssen bis einschließlich 2028 mindestens einmal jährlich eine Präsenzversammlung abhalten; hierauf können die Eigentümer jedoch durch einstimmigen Beschluss verzichten.
Ein Verstoß gegen diese Pflicht führt nicht zur Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit der in einer virtuellen Eigentümerversammlung gefassten Beschlüsse.
Die Übergangsregelung erfasst nicht solche Beschlüsse, die schon vor der neuen Regelung auf einer Vereinbarung aller Wohnungseigentümer beruhen.
Die Pflicht, bis 2028 auch Präsenzversammlungen abzuhalten, war auf Antrag der Koalitionsfraktionen im Rechtsausschuss in den Gesetzentwurf aufgenommen worden. Welcher Bedeutung dieser in letzter Minute noch aufgenommen Änderung zukommt, muss sich noch zeigen.
Der neue § 48 Abs. 6 WEG im Wortlaut:
"Fassen die Wohnungseigentümer vor dem 1. Januar 2028 einen Beschluss nach § 23 Absatz 1a, ist bis einschließlich 2028 mindestens einmal im Jahr eine Präsenzversammlung durchzuführen, sofern die Wohnungseigentümer hierauf nicht durch einstimmigen Beschluss verzichten. Ein Verstoß gegen diese Pflicht führt nicht zur Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit der in einer virtuellen Wohnungseigentümerversammlung gefassten Beschlüsse."
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